Morgenstadt - wie wir morgen leben
möglichst flexibel abzufangen, auszugleichen und zu überstehen. Das gelingt nur, wenn alle Bürger mit einbezogen sind, wenn also die Verantwortung für die Sicherheit nicht allein bei wenigen Ordnungshütern liegt.
Ein typisches Beispiel für mangelnde Resilienz zeigte ein Vorfall, der sich im Januar 2010 am Münchner Flughafen ereignete: Ein Passagier durchquerte die Sicherheitskontrolle (wie sich später herausstellte: versehentlich), nahm seinen Laptop mit und ging einfach weiter, obwohl ihn das Personal aufforderte, den Computer erneut prüfen zu lassen, da der Sicherheitscheck angeschlagen hatte. Niemand hielt den Mann schnell genug auf, und so war er innerhalb kürzester Zeit zwischen den Hunderten von Passagieren im Terminal verschwunden. Daraufhin wurde dieses komplett geräumt; für drei Stunden gab es keine Starts mehr, einige Flugzeuge mussten den Flughafen leer verlassen, um die Flugpläne einzuhalten. 100 Flüge verspäteten sich oder fielen aus, Tausende Passagiere waren betroffen. „Ein resilientes System wäre in der Lage gewesen, den Fehler aufzufangen und den Mann in einer weiteren Sicherheitsstufe festzuhalten“, sagt Dr. Tobias Leismann vom Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut EMI in Freiburg. „Man sollte nie darauf setzen, dass man etwas zu 100 Prozent verhindern kann, das ist die falsche Philosophie.“
WIE FINDET MAN SCHWACHPUNKTE?
Die Vision einer sicheren Stadt verwirklicht sich nicht von selbst. Ganz im Gegenteil: Den Architekten, Politikern und Stadtplanern müssen schon frühzeitig bei der Planung Werkzeuge zur Verfügung stehen, die es ihnen erlauben, die Morgenstadt auch sicherheitstechnisch entsprechend zu gestalten. Das Gleiche gilt für Umbau und Renovierung bereits bestehender Städte.
In diesem Sinne hat Sicherheitsforschung bei Fraunhofer eine lange Tradition. Die Themenbereiche sind vielfältig und gehen weit über die Planungsphase hinaus: So gilt es, potenzielle Krisenherde vorab zu entdecken, Infrastrukturen und kritische Knoten wie Kraftwerke, Banken, Rechenzentren oder Flughäfen zu schützen, gefährliche Stoffe frühzeitig aufzuspüren, auch im Krisenfall eine sichere Kommunikation zu ermöglichen, durch intelligentes Katastrophen- und Krisenmanagement Leben zu retten und die Rettungskräfte so auszurüsten, dass sie ihre Aufgaben mit möglichst geringem eigenen Risiko erfüllen können.
Nach Naturkatastrophen, Unfällen oder Anschlägen kommt häufig Kritik auf: Hätte man das alles nicht ahnen oder zumindest passender darauf vorbereitet sein können? Hätte man nicht die Lage besser überblicken und die Einsatzkräfte effizienter steuern müssen? Hätte man nicht mehr Leben retten können und Schaden vermeiden? Hinterher ist man immer schlauer. In der aktuellen Situation jedoch sind die Dinge meist chaotisch: Man kennt den Verlauf der Ereignisse nicht, muss schnell reagieren, die Lage ist oft extrem unübersichtlich, das Gelände vielleicht nicht zugänglich und die eingehenden Informationen so komplex, dass Menschen davon im Allgemeinen überfordert sind. All dies sind Schwachpunkte der Krisenbewältigung, deren Beseitigung sich einige Fraunhofer-Institute vorgenommen haben.
„Wir können die urbane Sicherheit erhöhen, indem wir Risiken vorher einschätzen, Verwundbarkeiten minimieren, Gefahren frühzeitig erkennen und ihnen effektiv begegnen, aber auch, indem wir die Widerstandsfähigkeit der Systeme erhöhen und Kaskadeneffekte verhindern“, sagt Professor Klaus Thoma, Chef des EMI in Freiburg. „Außerdem gehören die technische und logistische Unterstützung des Krisenmanagements dazu sowie die Schulung von Einsatzkräften.“
Damit künftig schon beim Entwurf einer Stadt sicherheitsrelevante Fragen einfließen können, koordiniert sein Institut ein EU-Projekt zur sicheren Stadtplanung – es heißt VITRUV. Der Name leitet sich ab vom römischen Architekten und Stadtplaner Vitruv, Verfasser des einzigen noch erhaltenen Werks über Baukunst aus antiker Zeit. Mit großer Genauigkeit beschrieb er in 10 Bänden 99 seine Ansichten über Architektur, Technik und Stadtplanung und betonte, jede Struktur müsse drei Eigenschaften erfüllen: Festigkeit, Nützlichkeit und Schönheit. Genau das sollten auch moderne Stadtplaner beachten, und die Werkzeuge, die Forscher im Rahmen dieses Projekts entwickeln, sollen ihnen dabei helfen.
Es geht um Softwareprogramme, mit denen sich prüfen lässt, wo in einer Siedlung kritische Punkte liegen
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