Morgenstadt - wie wir morgen leben
dürfen aber den Zusammenhang mit der Realität nicht verlieren, das heißt, man muss sie mit den realen Verhältnissen abgleichen. Dies gilt beispielsweise für die Frage, wie sich ein Bauwerk bei einer Explosion oder einem Erdbeben verhält und welche Schäden es davonträgt. Dr. Frank Schäfer vom EMI und sein Team haben zu diesem Zweck im Rahmen des Projekts AISIS. Sensoren entwickelt, die etwa – in regelmäßigen Abständen in die Wände eines Tunnels eingebaut – Auskunft geben über den Zustand und die aktuelle Standsicherheit von Tunnelwänden. „Die Sensoren messen die Erschütterung, beispielsweise bei einer Explosion oder bei einem Erdbeben“, sagt Schäfer. „Mit maßgeschneiderten Druckwellen haben wir vorher im Labor ermittelt, welche Belastungen die Wände noch verkraften können. Die Sensoren sind darauf kalibriert und funken Informationen nach außen, wo das Bauwerk von den Rettungskräften noch betreten werden kann und wo es einsturzgefährdet ist.“
Da in unseren Städten ebenso wie in der Morgenstadt ein großer Teil der öffentlichen Verkehrsmittel unterirdisch fährt, ist es von großer Bedeutung, ein zuverlässiges Sensorsystem für den Zustand der Tunnel zu haben. Dies gilt nicht nur für den Terrorfall, sondern insbesondere auch für erdbebengefährdete Metropolen.
Der Praxistest für AISIS fand am 19. April 2011 in einer abbruchreifen Fabrikhalle im Industriegebiet von Bad Säckingen statt, die kontrolliert gesprengt werden sollte. Man entschloss sich, dies mit der örtlichen Feuerwehr als Katastrophenübung für einen Terroranschlag durchzuspielen. Auf dem Versuchsgelände hatten vier Tage lang Forscher und Sprengexperten das zweigeschossige Gebäude mit 20 Sensoren sowie vielen Sprengladungen versehen, die es planmäßig teilweise zum Einsturz brachten. Menschengroße Holzpuppen wurden im Obergeschoss versteckt. Nach der Explosion sollten Einsatzkräfte der örtlichen Feuerwehr diese Dummys orten und „retten“. Der Test verlief erfolgreich: Die Sensoren zeigten im provisorisch aufgebauten Lagezentrum zuverlässig an, wo die Rettungskräfte das Gebäude noch betreten konnten und wo Wände eingestürzt oder einsturzgefährdet waren.
Im nächsten Schritt wollen die EMI-Forscher nicht nur Tunnel, sondern ganze Gebäude überwachen. Das Prinzip ist das gleiche, die Sensoren sollen allerdings noch empfindlicher und vielseitiger werden. Während im Tunnel nur die Temperatur sowie Höhe und Dauer der Druckbelastung gemessen werden, könnte eine entsprechende Gebäudesensorik zusätzlich auch noch Windlasten, altersbedingte Ermüdungserscheinungen und andere Risikofaktoren erfassen. „Ein Hochhaus schwankt ständig hin und her, das hat mit der Zeit Auswirkungen auf das Baumaterial“, sagt Frank Schäfer. „Was passiert nun, wenn nach ein paar Jahren in der Tiefgarage jemand gegen eine Säule fährt?“ In einem solchen Fall müssen Gutachter umfangreiche Untersuchungen vornehmen, mit den Sensoren könnte man die Folgen für das Gebäude sofort ablesen.
Das Besondere bei diesen Sensoren ist, dass sie völlig wartungsfrei und energieautark arbeiten, und das über Jahrzehnte hinweg. Sie erhalten anfangs eine kleine Batterie, die voll geladen ist, und anschließend muss dieser immer wieder so viel Energie zugeführt werden, wie der Sensor, die Mikroelektronik und die Funkanlage verbrauchen.Fachleute sprechen von Energy Harvesting, also dem Ernten von Energie. „Es geht zwar nur um winzige Beträge von unter 100 Mikrowattsekunden“, so Schäfer, „aber die müssen zuverlässig beschafft werden.“ Die Forscher nutzen bei den relativ großen Tunnelsensoren Temperaturunterschiede in der Wand, die in Thermoelementen eine elektrische Spannung erzeugen, oder sie greifen auf die magnetische Induktion durchfahrender Züge zurück. Die kleineren Sensoren, die man für Hochbauten entwickelt hat, könnten eine Kombination aus Licht, Energie aus WLAN-Netzen oder ebenfalls Thermoelektrik als Energiequellen nutzen.
Seit dem Einsturz des World Trade Centers in New York machen sich Experten zunehmend Gedanken darüber, wie ein Gebäude einen solch extremen Anschlag überstehen könnte. Vorher hatte man derartige Szenarien nicht in den schlimmsten Träumen erahnt, aber nun, da immer höhere Wolkenkratzer jenseits der 500-Meter-Marke errichtet werden – etwa der Burj Khalifa in Dubai mit 828 Metern Höhe –, sind Sicherheitskonzepte erforderlich. Denn gerade in den schnell wachsenden Städten der
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