Morgenstadt - wie wir morgen leben
und wie sie vermieden werden können. Die Risikoabschätzung soll den gesamten Prozess begleiten – vom ersten Entwurf bis zum endgültigen Design der Gebäude –, auch die Restrukturierung bereits bestehender Städte. „Wir wollen schon im Vorfeld erkennen, wie das System möglichst sicher aufgebaut werden kann“, sagt Thoma. „So muss man beispielsweise überlegen, ob es sinnvoller ist, internationale Einrichtungen wie Konsulate oder Botschaften über die ganze Stadt zu verteilen oder sie in einem Bezirk zu konzentrieren, den man dann intensiv bewacht. Oder man würde sicherlich nicht die israelische Botschaft unmittelbar neben ein belebtes Einkaufszentrum setzen.“
So soll VITRUV Werkzeuge für ein System entwickeln, das Brennpunkte für terroristische Szenarien oder Naturkatastrophen vermeidet. Im zweiten Schritt geht es in dem Projekt darum, die Anfälligkeit der einzelnen Komponenten auch auf neuartige Bedrohungen zu prüfen, um schließlich im Detail zu analysieren, welche Schäden entstehenkönnen. Experten, die diese Programme anwenden, sind damit in der Lage, eine Planung für robuste und wenig anfällige Städte zu betreiben.
Eine ähnliche Fragestellung, bezogen auf bereits bestehende Infrastrukturen, hat in den letzten Jahren eine Forschergruppe am Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS in Sankt Augustin im Rahmen des EU-Projekts DIESIS (Design of an Interoperable European Federated Simulation Network for Critical Infrastructures) durchgeführt. Auch hier machten sich die Wissenschaftler die Fähigkeit von Computersimulationen zunutze.
Denn mit einfachem Nachdenken ist es bei der Suche nach Schwachstellen längst nicht mehr getan. Moderne Sicherheitsforschung muss eine Fülle von Aspekten der Infrastruktursysteme gleichzeitig berücksichtigen, dazu die Abhängigkeit der Systeme untereinander, so dass es für den menschlichen Geist nicht mehr möglich ist, alles im Blick zu behalten. „Vor 40 Jahren wusste man beispielsweise, dass die Telefone selbst bei einem großflächigen Stromausfall noch funktionieren, denn das Telefonnetz hatte eine eigene Stromversorgung“, sagt Dr. Erich Rome, der das Projekt DIESIS koordinierte. „Heute hingegen hängen Festnetztelefone am ganz normalen Stromnetz und fallen damit im Notfall auch aus. Telefoniert wird nicht mehr nur über ein Netz, sondern über viele verschiedene: Mehrere Mobilfunknetze, analoges und digitales Festnetz, Internet, Satellit und weitere.“
Welch unerwartete Wirkungen ein relativ kleiner Fehler angesichts solch enger Verknüpfung haben kann, zeigte ein Vorfall am 4. November 2006 um 22.09 Uhr: Nur weil ein Kreuzfahrtschiff von Papenburg durch die Ems in die Nordsee überführt werden sollte und dazu eine 380-kV-Hochspannungsleitung über dem Fluss aus Sicherheitsgründen kurzzeitig ausgeschaltet wurde, brach in der Folge das west- und südeuropäische Stromnetz in großen Teilen zusammen. Mehr als 10 Millionen Haushalte in Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Österreich und Spanien waren bis zu zwei Stunden lang ohne Strom. Die Ursache war mangelhafte Planung und Abstimmung der Netzabschaltung, es kam zu Überlastung in Teilen des europäischen Netzverbundes. Dies führte zu kaskadenartigen Notabschaltungen, viele Städte waren gelähmt.
Um derartige Komplexitäten überschaubar zu machen, benutzen Sicherheitsforscher heute numerische Simulationen, die die Wirklichkeit möglichst realistisch auf dem Computer abbilden. Mit ihnen kann man dann viele Ereignisse durchspielen und sehen, wie die Systeme im Fall eines Falles reagieren würden. So lassen sich Abhängigkeiten genauer verstehen und Schwachstellen finden.
„Einschlägige Forscher haben eine Vielzahl solcher Simulatoren bereits entwickelt“, weiß Erich Rome, „aber sie sind im Allgemeinen auf einen Infrastruktursektor begrenzt und bilden nur einzelne Systeme ab.“ Wünschenswert wäre jedoch, gerade die Verknüpfung untereinander zu erkunden. Dann können nicht mehr solch gravierende Planungsfehler passieren wie etwa in den USA, genauer in Baltimore: Dort lag unmittelbar über einem Eisenbahntunnel eine Straße, eine Hauptwasserleitung, eine Stromleitung, deren Reserveleitung und eine Telefonleitung. Alle Systeme fielen aus, als in dem Tunnel ein mit Chemikalien beladener Zug explodierte.
WIE FIT IST EIN GEBÄUDE?
Die Wirklichkeit im Computer abzubilden ist heute ein unverzichtbares Werkzeug der Forschung. Derartige Simulationen
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