Morgenstadt - wie wir morgen leben
technischen Widrigkeiten scheitern. Die Lösung ist schnell gefunden: Auf einer Sanddüne, die in wenigen Minuten zu erklimmen ist, funktioniert das Netz wieder einwandfrei. Der Kommunikation zwischen Berlin und Dubai steht nichts mehr im Wege.
Singapur, 1. August 2010, kurz nach Mitternacht. Über dem Stadtteil Bukit Batok geht gerade ein Wolkenbruch nieder. Taxis – eines der wichtigsten Fortbewegungsmittel in der Stadt – würden dort dringend gebraucht. Die meisten halten sich aber zunächst im Zentrum viel weiter südöstlich auf. Das geht aus einer virtuellen Karte hervor, in der das Senseable City Lab am MIT in Boston Standortdaten von Taxis mit Wetterinformationen kombiniert hat. Sie zeigt auch die zeitliche Entwicklung der Taxiverteilung: Wo fahren freie Wagen hin, wo sind vorbestellte unterwegs? Die Auswertung der Daten ergibt noch eine weitere interessante Information: An diesem Tag kann man vom Zentrum aus mit dem Taxi durchschnittlich in 20 Minuten fast jeden Punkt der Stadt erreichen. 130
Singapur, 6. September 2010, 16.40 Uhr: In der Stadt ist es heiß – alle Klimaanlagen laufen auf Hochtouren. Der Energieverbrauch ist hoch, es gibt zwei Hotspots: einen direkt im Zentrum und einen in der Hafenregion. Eine Karte des Senseable City Lab zeigt, wie in manchen Zonen der Stadt die Temperatur im Lauf des Tages um mehrere Grad ansteigt. Die Forscher haben dies aus einer Kombination von Energieverbrauch und Windgeschwindigkeit ermittelt. Ein Balkendiagramm macht auch die zeitliche Entwicklung sichtbar.
Singapur, 25. März 2011, 0.19 Uhr: 1763 Seecontainer werden in den nächsten zwölf Stunden im Seehafen umgeladen, der einer der wichtigsten Umschlagplätze der Welt ist. Eine Weltkarte von Senseable City macht deutlich, wo sie herkommen und wo sie hingehen: Viele kommen aus Hamburg, Australien und Südamerika, etliche gehen nach New York. Nur wenige bleiben in der südostasiatischen Stadt.
Singapur, 4. April 2011, 17.15 Uhr: Rush Hour. Die Menschen streben nach Hause. Wo sich gerade wie viele aufhalten, das lässt sich ebenfalls aus einem Diagramm des Senseable City Lab ablesen. Die Forscher haben dazu die Mobilfunkdaten und die Menge der Textbotschaften ausgewertet. Ein Bild zeigt nun, wie sie sich über die Insel verteilen. Jeder Einwohner in Singapur besitzt im Durchschnitt 1,5 Handys, und er benutzt sie auch. So lassen sich urbane Verteilungen sogar in Echtzeit anzeigen.
DAS LEBEN IN DER STADT SICHTBAR MACHEN
Diese beeindruckenden Bilder, die man nicht so schnell wieder vergisst, sind am MIT entstanden. Sie zeigen, dass eine Stadt ein Organismus ist, ein lebendiges Gebilde: Ständig wird sie durchströmt von Autos und Menschen. Informationen und Waren fließen hinein, heraus und durch sie hindurch. Tag und Nacht, Jahreszeiten, Wind und Wetter wechseln ständig, die Einwohner richten sich danach. Wie aber kann man ein solch riesiges, komplexes Gebilde erfassen, das sich sekündlich ändert? Satellitenfotos haben uns immerhin den geographischen Überblick von oben verschafft, über das tatsächliche Leben sagen sie jedoch nur wenig aus. Hier kommen den Forschern nun die modernen Kommunikationsmedien zu Hilfe. Jeder, der heute ein Handy bei sich trägt, kann lokalisiert werden, jeder Tweet, jede SMS hinterlässt Spuren, die man auswerten kann. In manchen Ländern ohne Festnetz telefonieren die Menschen nur mit mobilen Geräten, selbst in Europa sind sie weit verbreitet: In Tschechien beispielsweise nutzen 81 Prozent der Haushalte nur Handys zum Telefonieren, in Österreich 47 Prozent, in Deutschland rund 12 Prozent. 131
Der kanadische Künstler Jer Thorp hat an einem Beispiel verdeutlicht, wie sich die Spuren der Mobiltelefone sichtbar machen lassen: Eine Erdkugel dreht sich vor unseren Augen, und wie Feuerwerkskörper schießen an vielen Orten farbige Punkte hoch: An manchen Stellen sind sie besonders dicht und groß, an anderen gibt es nur wenige. Die bunte Welle schwappt rund um den Globus: Sie zeigt, wie viele Menschen an einem Tag wann und von wo aus per Twitter „guten Morgen“ gewünscht haben. 132 Thorp hat dazu 11000 Guten-Morgen-Tweets in 24 Stunden ausgewertet und sichtbar gemacht: Grüne Säulen zeigen Tweets in aller Frühe, Orange steht für Wünsche rund um 9.00 Uhr, und rote Säulen stammen von Spätaufstehern. Wer außerhalb dieser Zeit „guten Morgen“ twittert, ist schwarz eingefärbt. So faszinierend der kleine Film ist, Thorp meint dennoch: „Ich gebe zu, dass das keine
Weitere Kostenlose Bücher