Morgenstadt - wie wir morgen leben
besonders nützliche Visualisierung ist“, denn er hat sie eigentlich mehr zum Spaß angefertigt.
Dass solche Darstellungen in der Morgenstadt aber zu weit mehr dienen können als nur zur Unterhaltung, macht seit 2005 der italienische Architekt Professor Carlo Ratti als Vorreiter der Echtzeitkartierung deutlich. 133 In seinem „Senseable City Lab“ am MIT in Boston entwickelt er mit seinem Team Darstellungen wie die oben geschilderten Filme des Projekts LIVE Singapore!, die das Leben in einer Stadt bildlich vor Augen führen, die aber gleichzeitig Stadtplanern helfen können, Verbesserungen in der Struktur von Metropolen zu entwickeln.
Dirk Hecker, Geograph am Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS in Sankt Augustin, nutzt ebenfalls diese neuen Möglichkeiten, um daraus Wissen zu extrahieren. „Wir sprechen von Mobility Mining“, sagt der Wissenschaftler, „und wir stellen unseren Kunden aus der Werbung, der Immobilien-, Telekommunikations- oder der Automobilbranche Informationen zur Verfügung, die man früher mit konventionellen Mitteln nur sehr schwer ermitteln konnte.“
So hat er beispielsweise herausgefunden, dass in Köln in der Schildergasse pro Tag die meisten Fußgänger in ganz Deutschland entlanggehen. So etwas ist für die Werbewirtschaft interessant, denn sie will wissen, wo in einer Stadt es sich lohnt, Plakate aufzustellen. „Um herauszufinden, wo täglich wie viele Personen vorbeikommen, mussten wir früher Leute an die Straßen stellen, die Passanten und Autos zählten“, sagt Hecker, „dazu kamen Daten aus automatischen Autozählungen mit Induktionsschleifen. Das ist bei fast 7 Millionen Straßenabschnitten in Deutschland natürlich ein riesiger Aufwand.“ Die Lage besserte sich, als kleine GPS-Geräte verfügbar waren. In einer gemeinsamen Studie mit der agma Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse e. V. stattete das Institut 12000 repräsentative Probanden in allen deutschen Großstädten mit GPS-Geräten aus und verfolgte deren Wege sieben Tage lang. „Das heißt, wir wissen, wann sie aus dem Haus gegangen sind, wie lange sie außer Haus waren und wie viele unterschiedliche Wege eine Person begangen hat. Daraus entstehen enorme Datenmengen, die man zunächst verarbeiten muss“ 134 , so Hecker. Die Forscher leiteten aus den Ergebnissen Mobilitätsmuster ab, die sie auf ganz Deutschland verallgemeinern konnten, und fertigten Mobilitätsmodelle an, die für alle Straßenabschnitte hierzulande prognostizieren, wie viele Personen dort entlanggehen oder -fahren.
Seit sie auch Mobilfunkdaten heranziehen, sind die Aussagen der IAIS-Wissenschaftler noch genauer geworden: „Wir werten Netzperformance-Daten aus, die von den Mobilfunkmasten stammen“, sagt Hecker. „Daraus erfährt man, wie viele Menschen wann in bestimmten Funkzellen telefoniert haben. Alles bleibt aber völlig anonym und berücksichtigt den Datenschutz.“ Will man aber auch noch wissen, wie alt die Personen sind und ob es sich um Mann oder Frau handelt, muss man auf die Abrechnungsdaten der Mobilfunkanbieter zurückgreifen. „Um hier die Anonymität zu wahren, setzen wir Technologien ein, die diese Personendaten unkenntlich machen. Wir fassen sie in Gruppen zusammen und verschleiern somit die individuellen Informationen. Dieses Vorgehen lässt keinen Rückschluss mehr auf Einzelpersonen zu, die Privatsphäre bleibt gewahrt“, so der Forscher.
In der Morgenstadt werden Personen zu Sensoren, weil sie durch ihr Handy jederzeit lokalisierbar sind. Das bedeutet: Allein in Deutschland sind damit potenziell rund 84 Millionen Sensoren unterwegs. Das eröffnet Möglichkeiten, die heute noch kaum vorstellbar sind. Man kann die Informationen dazu nutzen, an jeder Ecke auf digitalen Werbeflächen die passenden Angebote einzuspielen, aber auch für die Planung der Infrastruktur oder für Aufgaben wie den Katastrophenschutz. So wurde nachträglich bekannt, dass beim Love-Parade-Unglück in Duisburg die Informationen über die Vorgänge an den kritischen Stellen per Mobilfunk sofort nach außen drangen, die Rettungskräfte brauchten länger, um zu erkennen, was vorging. Auch die Meldungen über ein Erdbeben verbreiteten sich über Twitter schneller als über die offiziellen Warnsysteme. Wenn es beispielsweise gelingt, mit Hilfe von solchen digitalen Informationen Prognosen für den Katastrophenschutz zu machen, könnte das viele Menschenleben retten.
SMART CITY – DIE INTELLIGENTE STADT
Die
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