Morgenstadt - wie wir morgen leben
Während man im 18. Jahrhundert mit den Materialien zurechtkam, die man im näheren Umkreis fand – Kohlenstoff, Kalzium, Eisen –, benötigte die Technik der Dampfmaschine und später das Ölzeitalter Substanzen, die man von weither anliefern musste: Buntmetalle, später auch Elemente, die selten anzutreffen und deshalb teuer waren, etwa Platin und Molybdän für Katalysatoren. In den letzten 20 Jahren hat sich dieser Prozess beschleunigt: Heute benötigt man fast das gesamte Periodensystem zur Herstellung moderner Geräte: „Photovoltaik, die ursprünglich auf Silizium beruhte, bewegt sich nun zu Mischungen, die unter anderem Cadmium, Gallium, Germanium und Tellur enthalten. Windkraftanlagen benötigen Hochleistungsmagnete, um effizient zu arbeiten; und dafür braucht man seltene Erden. Lithium und Lanthan sind die Materialien der Wahl für Hochleistungsbatterien – unabdingbar für elektrische Fahrzeuge. Und zwischen Generatoren und Verbrauchern und im Inneren nahezu jedes elektrischen Geräts befindet sich Kupfer, möglicherweise das Element des elektrischen Zeitalters“, schreiben Forscher der Universität Augsburg. 124 Und Matthias Fischer vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP in Stuttgart sagt: „Die Kupferkonzentration in der Stadt ist schon heute teilweise höher als in einer Mine.“
Die Abhängigkeit von Rohstoffen, die früher wenig Bedeutung hatten, hat zu einer neuen Situation im globalen Markt geführt. Forscher des ISI finden dafür in ihrer Studie „Rohstoffe für Zukunftstechnologien“ deutliche Worte: „Die Nachfrageeffekte technischer Innovationen wurden nicht rechtzeitig erkannt und führten zu Fehleinschätzungen auf den Rohstoffmärkten. Dies ließ die Preise sprunghaft steigen und trifft die Industrie in der Produktion in ihrem mit Abstand größten Kostenblock, den Materialkosten. Aber es sind nicht nur die Kosten, welche durch die Rohstoffe mit bestimmt werden; der Rohstoffabbau, ihre Verhüttung und Weiterverarbeitung zu Werkstoffen und Vorprodukten ist auch mit erheblichen Umweltlasten verbunden. Vor diesem Hintergrund ist die effiziente Nutzung von Rohstoffen und Werkstoffen und die Schließung von Stoffkreisläufen durch das Recycling eine Herausforderung der Zukunft, deren Bedeutung dem Klimaschutz entspricht.“ 125 Es würde sich auch mengenmäßig lohnen: „Man hat zumBeispiel errechnet, dass 1 Million Tonnen Werkstoffe wieder in den Wirtschaftskreislauf gelangen können, wenn jeder Bürger in der EU nur vier Kilogramm Altgeräte pro Jahr in die Sammlung und damit Verwertung geben würde“, berichtet das Bundesumweltministerium auf seiner Homepage. 126
Zum Beispiel Handys: „Für die Herstellung eines Mobiltelefons benötigt man rund 30 verschiedene Metalle“, sagt Professor Gerhard Sextl, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung ISC in Würzburg. „Und bisher wurden weltweit etwa 12 Milliarden Handys hergestellt“, ergänzt sein Kollege Professor Armin Reller von der Universität Augsburg, der gern von „Gewürzmetallen“ spricht, da man jeweils nur eine Prise davon für ein Gerät braucht. „Aber sie sind unentbehrlich. Für ein Smartphone-Display benötigt man ein Milligramm Indium, ohne das geht es nicht. Das ist so, wie man ohne eine Prise Safran kein Safranrisotto kochen kann.“ Die beiden Forscher plädieren deshalb dafür, alte Handys zu zerlegen und gleichartige Teile zu sammeln. Das gilt auch für Elektromotoren, Computer, Fernseh- und andere elektrische Geräte. „Wir müssen der stetigen Verdünnung der Materialien entgegenwirken“, sagen sie. „Wenn sie erst einmal gleichmäßig in der Umwelt verteilt sind, hat man keine Chance mehr, sie zurückzuholen. Auf diese Weise gehen auf der Erde heute schon rund vier Tonnen Platin pro Jahr verloren, bei einer Jahresproduktion von nur 170 Tonnen.“
Um neue Verfahren fürs Recycling zu entwickeln, aber auch um sinnvolle Strategien für den Umgang mit Rohstoffen zu erforschen, hat das ISC in Alzenau im September 2011 eine Projektgruppe für Werkstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie IWKS gegründet. In einem weiteren Schritt will man dort auch an der Substitution von Werkstoffen arbeiten, deren Verfügbarkeit als kritisch beurteilt wird. „Unser Traum für die Morgenstadt ist es, dass alles im Kreislauf geführt wird und dass es keine Abfälle mehr gibt“, so Sextl und Reller. Sie schlagen sogar vor, Deponien beispielsweise von Handys als „sekundäre Minen“ zu bilden und diese so
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