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Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Titel: Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Wolf
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bewusst, dass nicht nur Wärme Schmerzen lindern kann. Kälte ebenso.
    »Du hättest nicht rausgehen dürfen«, sagt Nevis, während er die Prozedur an meinem anderen Fuß wiederholt. »Abends stirbt hier draußen alles, Maya. Bis Mitternacht lebt nichts mehr und der Tod hält bis in die Morgenstunden an, bis die Zeit der Wiedergeburt beginnt. Tagsüber kannst du hier gerne mit Begleitung durch das blühende Leben spazieren, aber sobald die Sonne hinter der Klippe versinkt, musst du zurück sein!«
    »Die Tür war plötzlich weg«, sage ich und Nevis runzelt die Stirn. »Ich wollte nur den Nebel sehen, da fiel sie hinter mir zu und das Haus war verschwunden.«
    Seine Augen sind so wunderschön. Nie hätte ich gedacht, dass Schmerz und Trauer etwas so atemberaubend schön machen kann. Die Melancholie in ihnen lässt mich einfach nicht los, wenn ich in sie hineinsehe.
    »Hast du an etwas gedacht, als sich die Tür öffnete?«, will der Winter wissen und lässt meinen linken Fuß los. Vorsichtig und zurückhaltend hält er noch einmal seine Hand über meine Augen. Nachdem er zurückweicht, kann ich wieder richtig sehen. Ich teste vorsichtig an, ob ich aufstehen kann und es funktioniert. Seine Kälte hat die Verbrennungen geheilt.
    »Ich habe an dich gedacht«, gestehe ich ehrlich.
    Das hätte ich besser nicht getan, denn sein Blick wird frostig kalt.
    »Hör auf mich zu suchen, hörst du?«, zischt er mich an und ich meine Schmerz in seiner Stimme zu hören.
    »Es war ja keine Absicht«, fahre ich ihn zickig an. »Entschuldige, dass ich über meine potenziellen Ehemänner nachdenke.«
    Nevis packt mich hart am Arm und ich wimmere vor Schreck und Schmerzen kurz auf, doch er lässt nicht locker.
    »Ich bin keiner von ihnen.« Seine Stimme ist so kalt und beherrscht, dass es mich tief trifft. »Und jetzt komm, ich bringe dich zu deinem Zimmer.« Damit steht er auf, doch er beginnt zu wanken. Ich kann ihn gerade noch schnappen und er fällt mit seinem ganzen Gewicht auf mich drauf. Einen Moment lang sehen wir uns mit Panik in den Augen an. Diese plötzliche Nähe summt in meinem ganzen Körper. Noch nie war mir ein Mann so nah und es scheint fast, als würde mein Herz in seinen Brustkorb hinüberspringen wollen. Eine merkwürdige Sanftheit legt sich über Nevis‘ Gesicht. Er wirkt mindestens genauso verwirrt, wie ich mich fühle. Sein Atem streicht zärtlich über meine Haut, während sich etwas in meinem Bauch prickelnd und nach mehr verlangend anzustauen beginnt.
    »Alles okay?«, frage ich ein wenig atemlos.
    »Die Hitze hier draußen«, sagt er, bewegt sich jedoch keinen Zentimeter und ich muss feststellen, dass es mir nichts ausmacht. Im Gegenteil. Als er versucht sich aufzurichten, macht sich sogar ein Gefühl der Leere in mir breit, als würde mein Körper sein Gewicht vermissen. Ich rappele mich auf und er hilft mir auf die Füße. Schweiß steht auf seiner Stirn und er wankt immer noch etwas. Wir stützen uns gegenseitig und gehen ins Haus. Ich seufze erleichtert, als ich mich in der Eingangshalle wiederfinde.
    »Es tut mir leid, dass ich dir einen Schrecken eingejagt habe«, sage ich und sehe zu der großen Treppe. »Soll ich dich in deine Welt begleiten?«
    »Nein«, sagt Nevis und richtet sich auf. Es scheint ihm wieder besser zu gehen, doch er wirkt jetzt noch abweisender als sonst. Er packt mich wieder am Arm und zieht mich an der Treppe vorbei. Sanft, aber bestimmt, schiebt er mich vor sich und folgt mir dann durch die Gänge. Seine Kühle trifft mich so hart, dass ich ein Brennen in meinen Augen fühle. Heimweh macht sich in mir breit und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als bei meiner Mutter und Iria zu sein. Verstohlen wische ich mir über die Augen.
    »Wieso weinst du?«, will Nevis wissen und bleibt stehen.
    Ich drehe mich zu ihm um und schüttele den Kopf. Das will ich ihm nicht sagen. Nicht, wenn er mich so ansieht.
    »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Mutter wird dich nicht bestrafen. Du bist dort draußen schon genug bestraft worden.«
    »Das ist es nicht«, flüstere ich wieder mit dem Rücken zu ihm und mustere meine zerschlissene, dreckige Kleidung.
    »Was dann?« Er klingt nun weicher, nicht mehr ganz so eisig und mehr wie der Mann, dem ich eben auf der Terrasse liegend in die Augen gesehen habe. Ein merkwürdiger Schauer durchfährt mich bei dem Gedanken daran und ich höre mein Herz laut in mir pochen. Es will mir etwas sagen, was ich nicht verstehe.
    »Ich …«, stocke ich, »…

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