Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
abwartend an.
»Dein Wolf«, beginne ich zu erklären, »heißt auch Iria, oder?«
»Ich bringe dich zum Speisesaal«, sagt er entschlossen und geht voran, doch ich bleibe wie angewurzelt stehen. Habe ich ihm nicht eine Frage gestellt? Ich bin durcheinander und nicht mehr Herr meiner Sinne.
»Komm!«, ruft er mich in einem barschen Ton. Seine weißen Haare verhängen seine Augen ein wenig, als er zu mir herüber sieht. Wie gerne ich sie einmal anfassen würde …
»Ähm, ja«, sage ich und räuspere mich, bevor ich seine Verfolgung aufnehme. Er spricht kein Wort mit mir, während er mich in den Speisesaal führt und ich bin zu erschrocken, um selbst etwas zu sagen. Ich bin heilfroh, als wir die anderen bereits am Tisch vorfinden.
»Maya!«, ruft Gaia freudig und erhebt sich. Sie deutet auf den Stuhl ihr gegenüber am anderen Ende des Tisches und setzt sich zeitgleich mit mir hin.
»Ich habe mich ein wenig verlaufen«, stammele ich.
»In meinem Haus?«, fragt die Göttin verblüfft. »Das geht gar nicht. Du kannst immer nur den Weg nehmen, den du zu gehen gedenkst.«
»Anscheinend wolltest du zu unserem kleinen Brüderchen«, gluckst Jesien in sein Weinglas und ich kann ihm das nicht mal übel nehmen, obwohl ich bei seinen Worten sofort puterrot werde. Jesien hat so eine Art an sich, die ich sehr zugänglich finde. Bei ihm weiß man, woran man ist, während Sol viel hinter seinem Äußeren zu verstecken versucht. Aber ich versuche noch keine voreiligen Schlüsse zu treffen. Ich bin noch keinen ganzen Tag hier und es ist unmöglich, jemanden in so kurzer Zeit kennenzulernen. Nevis nimmt kommentarlos neben seinem Bruder, dem Herbst, und an der Seite seiner Mutter Platz. Ich sehe, wie sie ganz kurz seine Hand ergreift, bevor sie sich mir zuwendet.
»Nun Maya, wie war dein erster Tag hier?«
Bevor ich antworten kann, erscheint das Essen auf dem Tisch. Ein großer Laib Käse auf einem hölzernen Brett. Ein köstlich duftendes Brot, eine Palette mit Tomaten und Mozzarella, frischer Aufschnitt, diverse Aufstriche und ein großer Korb voller Obst. Teilweise sind Früchte dabei, die ich nur aus Büchern kenne.
»Ich habe meine Eindrücke noch nicht richtig ordnen können«, gestehe ich ehrlich und Gaia nickt verstehend.
»Nun, deshalb bleibst du die ersten beiden Tage auch bei mir«, sagt sie schließlich zufrieden und beginnt sich am Essen zu bedienen. Das ist auch das Zeichen für uns andere loszulegen. Aviv ist so freundlich mir zwei Scheiben von dem köstlich duftenden Brot abzuschneiden. Als ich sie ihm abnehme, merke ich, dass es noch ganz warm ist. Schnell belege ich eine Scheibe mit etwas Käse und beiße hinein. Köstlich! Ein zufriedenes Brummen entfährt mir, was Jesien Spaß zu machen scheint.
»Das muss man dir lassen, Maya«, sagt er. »Du bist eindeutig eine Genießerin.«
»Wie du«, sagt Gaia und zwinkert erst ihrem Sohn und dann mir zu. Ich schiebe mir mit den Fingern einen Krümel in den Mund, der meinen Lippen entkommen war und lächele Jesien an.
»Bisher habt ihr mich aber auch verwöhnt«, verteidige ich mich ein wenig, nachdem ich herunter geschluckt habe. Jesien will gerade etwas sagen, als Nevis neben ihm aufsteht.
»Entschuldigt mich bitte«, murmelt er vor sich hin und verlässt dann schnellen Schrittes den Speisesaal. Ich sehe ihm verdattert nach und zucke dann mit den Schultern.
»Du musst die Butter probieren«, lenkt Aviv meine Gedanken wieder zurück zum Essen. »Die ist einfach köstlich!«
Ich nicke und bestreiche meine zweite Brotscheibe. Als ich abbeiße, beobachten mich Avivs Augen ganz genau.
»Himmlisch«, seufze ich und halte mir die Hand vor den Mund, da ich immer noch Brot darin habe. Aviv scheint sich sehr zu freuen und fängt damit an, sich selbst etwas zu essen zu machen. Langsam wird mir bewusst, dass Aviv am Anfang wohl noch etwas schüchtern war, doch jetzt aufzutauen beginnt. Der Gedanke, dass er leichte Berührungsängste hat, macht ihn in meinen Augen sehr sympathisch. Ich lächele ihn während des Essens mehrmals an und seine grünen Augen werden immer offener.
»Ich werde mich jetzt zurückziehen«, sagt Gaia schließlich und steht auf. »Maya, du darfst den Abend verbringen, wie du möchtest. Bleib bitte nur im Haus. Meine Söhne werden dir auf Wunsch gerne Gesellschaft leisten, aber du kannst die Abendstunden auch gerne dazu nutzen, deine Gedanken ein wenig zu ordnen. Wenn du nach draußen möchtest, wird dich morgen früh gerne jemand
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