Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Titel: Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Wolf
Vom Netzwerk:
und Iria springt neben mir vom Bett. Es tut gut, wieder mit einer Frau zu reden, auch wenn sie in einem Wolfspelz steckt.
    Nevis steht im Wohnzimmer und sieht bedrückt aus. Als er mich sieht, versucht er sich an einem Lächeln, was aber irgendwie misslingt.
    »Maya«, sagt er und ich warte auf mehr, doch er sieht mich nur durchdringend an. Seine Augen sind offen, keine Eisschicht verschließt sie vor mir. »Ich …«, fasst er sich schließlich ein Herz und spricht weiter, »ich wollte dir sagen, dass es mir leid tut, wie ich mich heute Mittag verhalten habe.«
    »Schon gut, nichts passiert«, sage ich schnell, um das leidliche Thema loszuwerden, doch er sieht das anders.
    »Ich bin einfach keine Gesellschaft gewöhnt.« Er fährt sich durch die weißen Haare und sieht mich entschuldigend an, während ein paar seiner Strähnen wieder in seine Stirn zurückfallen.
    »Das verstehe ich Nevis.« Ich lächele ihm aufmunternd zu und reiße mich innerlich zusammen, um ruhig zu bleiben. Wieso bringt mich dieser Mann mit den traurigen Augen nur so durcheinander? Kann man sich wirklich auf den ersten Blick und ohne jede Vernunft verlieben?
    »Ich habe mir etwas überlegt«, sagt Nevis plötzlich und reißt mich aus meinen Gedanken. »Ich möchte dir etwas zeigen.« Damit kommt er auf mich zu und hält mir seine beiden Hände hin. Ich ergreife sie, doch bevor ich mir das Gefühl seiner Haut auf meiner einprägen kann, haben wir auch schon den Ort gewechselt. Noch ganz benommen sehe ich mich um. Wir sind in einer Art Eishöhle und ich beginne sofort zu zittern. Durch die bläulich schimmernden Wände fällt gerade so viel Licht, dass es reicht, um sich hier zurechtzufinden. Nevis lässt mich ruckartig los und geht schnellen Schrittes in die Mitte der frostigen Höhle. Vor meinen Füßen liegt plötzlich ein warmer Mantel. Ich betrachte ihn einen Moment lang verdattert, hebe ihn dann aber auf und ziehe ihn an. Er hätte ihn mir auch geben können, schießt es mir durch den Kopf. Mit gerunzelter Stirn gehe ich zu ihm. Er steht vor einer großen eisigen Platte, die auf einer Empore liegt. Verwirrt sehe ich erst ihn an und dann auf die Eisscheibe vor uns. Das ist doch …
    »Über dieses Portal«, er deutet auf die Platte, »schicke ich das, was ich hier erschaffen habe, auf die Erde.«
    Ich starre mit offenem Mund auf das, was ich dort sehe. Das … diese riesigen Häuser … wie in der Vergangenheit! Sie sind verfallen und … tiefgefroren. Und sind das da etwa Autos, die sich da vollkommen zerstört aufeinandertürmen? Wenn ich mir den ganzen Schnee und den Frost wegdenke, dann ersteht vor meinen Augen ein Bild wie in den uralten Filmen, die ich mir auf der Erde so gerne mit Iria angesehen habe. Als die Menschen noch über den ganzen Planeten verteilt lebten, Flugzeuge am Himmel flogen und man in riesigen Häusern, die sich bis in die Wolken erstreckten, wohnte. Nevis legt eine Faust auf die Platte und streckt an mir vorbei einen Arm aus. Ich folge ihm mit den Augen und bemerke erst jetzt, dass die Höhle dort einen verwinkelten Ausgang besitzt. Der Nebel, den mein Atem beim erstaunten Ausatmen in der Kälte bildet, nimmt mir kurz die Sicht. Ich schlinge den Mantel enger um mich und ziehe die Nase hoch. Nevis wirkt hochkonzentriert als ganz plötzlich ein Wirbel aus Schnee und Wind in die Höhle weht. Obwohl er mich nicht trifft, sondern direkt in Nevis‘ Hand einfährt, spüre ich doch das kalte Peitschen in meinem Gesicht. Erstaunt schreie ich kurz auf, als ich sehe, dass sich der Schneesturm auch durch Nevis‘ Augen bohrt. In ihnen toben weiße Eiskristalle, bis Nevis die Faust auf der Platte aufmacht und den Schneesturm aus seinem Körper auf die Erde entlässt. Schnell rücke ich näher an das Portal und schau hinein. Durch die eben noch starr und ruhig daliegende Stadt fegt und tobt jetzt ein heftiger Schneesturm, der das Eis sich überall fest zusammenziehen lässt. Nevis‘ Hand verlässt die Platte und ich sehe zu ihm hoch.
    »Danke, dass du mir das gezeigt hast«, sage ich.
    »Das war eigentlich nicht, was ich dir zeigen wollte«, sagt er und ein Mundwinkel hebt sich zu einem zaghaften Lächeln. »Aber ich schließe daraus, dass meine Brüder ihre Arbeit lieber außen vor gelassen und es dir nicht gezeigt haben.«
    »Nein, sie haben nur versucht es zu erklären«, sage ich. »Ich habe irgendwie gedacht, dass es für mich verboten sei, das zu sehen.« Hatte das nicht auch einer der Jahreszeiten zu mir gesagt?

Weitere Kostenlose Bücher