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Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Titel: Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Wolf
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Mutter Göttin, ich werde vergesslich.
    Nevis wendet sich der Eisplatte vor uns zu. »Ich weiß nicht, ob es verboten war, dir das zu zeigen, aber das nächste ist es definitiv.« Er beginnt über die Platte zu wischen. Konzentriert sehen seine Augen darauf und ich verliere mich einen Moment lang in seiner Mimik. Als er mich jedoch abwartend ansieht, sehe ich erneut auf das Portal.
    »Der Orden«, rufe ich und meine Stimme versagt. Das Heimweh in mir gibt mir den Mut, die Eisplatte zu berühren, doch bei meiner Berührung flackert das Bild nur kurz.
    »Warte«, sagt Nevis und schiebt meine Hände sanft runter. »Du darfst es nicht berühren. Du bist in dieser Welt …«
    »Ein Störfaktor, ich weiß«, unterbreche ich ihn. »Entschuldige.« Dann kommt mir eine Idee. »Könntest du ein Kleinwenig mehr südlich gehen? Dort ist eine kleine Lichtung im Wald, wo ich oft mit Iria zusammen gebeten und geredet habe.« Hoffnung liegt in meiner Stimme. Hoffnung darauf, meine Iria zu sehen. Einen kurzen Blick auf sie zu werfen, doch Nevis sieht mich nur nachdenklich an.
    »Nun gut«, sagt er schließlich und ich beobachte, wie seine schönen Hände über das Portal streichen.
    »Stopp!«, rufe ich, als ich die Lichtung erkenne. Mein Herz macht einen Aussetzer. Dort kniet eine blonde Frau in der Abenddämmerung. »Iria«, hauche ich und ein Schluchzen tritt ungewollt aus meiner Kehle.
    »Maya, alles okay?«, höre ich Nevis ungewohnt sanft fragen, doch ich kann die Augen nicht von Iria lassen.
    »Sie … sie macht sich bestimmt Sorgen um mich«, sage ich und halte mir eine Hand vor den Mund, weil ich es durch das Weinen nicht schaffe, ihn zu schließen. Schluchzend überlege ich … »Sie hat noch nichts von mir gehört … sie wird wissen, dass ich bei dir bin.« Ich sehe auf und erschrecke kurz über Nevis‘ Gesichtsausdruck. Er mustert mich besorgt und seine Eisaugen sind komplett geschmolzen. Ein klares Blau ist zu erkennen. Dann verändert sich etwas in ihnen und Entschlossenheit tritt an die Stelle der Ratlosigkeit, die sie eben noch beherrscht hat. Nevis legt wieder seine Hand auf die Eisplatte und verdeckt damit Iria einen Moment. Abwartend sehe ich auf das Portal und die Hand des Winters. Als er sie wieder wegnimmt, ist Iria aufgestanden und steht mit erhobenen Armen in einem winzigen Schneegestöber, welches nur über ihr stattfindet. Sie sieht nach oben und ich sehe das erste Mal seit ich von zu Hause weggegangen bin wieder ihr Gesicht. Ich kann sehen wie sie lachend und aus ganzer Seele etwas ruft. Meinen Namen. Ihre Lippen formen eindeutig Maya !
    »Sie ruft nach mir«, sage ich. Nevis' Hand liegt wieder über dem Portal, dann hebt er sie an und scheint etwas zu schreiben. Der Schnee über Iria hat aufgehört, aber vor ihren Füßen erscheint aus weißen Eiskristallen geschrieben das Wort: Ja. Weinend bricht meine beste Freundin davor zusammen und streicht über die Buchstaben. Auch ich beginne wieder zu schluchzen und es vermischt sich mit dem Lachen auf meinen Lippen.
    »Könntest du ihr noch etwas schreiben?«, frage ich und sehe Nevis an. Er seufzt und runzelt die Stirn. Ich verstehe, dass er den Bogen ohnehin schon weit überspannt hat, aber ich muss es einfach versuchen.
    »4435,4«, flehe ich.
    »4435 Komma 4?«, wiederholt er und sieht verwirrt aus.
    »Ja, Seite 4435 im Buch der Hüterinnen, Zeile 4: Es geht mir gut, ich bin glücklich.« Es stimmt zwar nicht wirklich, aber ich will Iria nicht unnötig beunruhigen. »Es gehört zur Ausbildung einer Hüterin, für ein Jahr zu schweigen und nur zur Göttin zu sprechen. Auch Schreiben ist untersagt. Jede Art der Unterhaltung. In der Zeit haben Iria und ich gelernt uns anders zu behelfen, um uns zumindest die einfachsten Dinge mitzuteilen. Die Zeile ist aus einem alten Bericht einer Hüterin. Ich weiß schon gar nicht mehr genau, worum es darin ging.«
    Nevis lächelt ein wenig über meine Erklärung, dann hebt er jedoch den Finger und malt Iria die Zahlen vor die Füße. Sie liest sie und hebt ihre Fingerspitzen an den Mund. Ich glaube sie küsst sie, denn danach hebt sie sie gen Himmel und lächelt.
    »Sie hat es verstanden«, schlussfolgert Nevis und lässt mit einem einzigen Wischen seiner linken Hand den Schnee vor Iria verschwinden und gleichzeitig erlischt auch das Bild auf der Eisplatte. »Tut mir leid, Maya. Mehr kann ich dir nicht bieten.«
    »Ich danke dir so sehr«, hauche ich, während sich immer noch Tränen von meinen Wimpern lösen und eine

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