Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
ist der Schneesturm gerade von Nöten. Ich darf ihn jetzt nicht einfach einstellen.«
»Hm, okay«, sage ich. »Ich würde jetzt gerne ein wenig in mein Zimmer gehen, wenn euch das recht ist.«
»Klar, nur zu.« Iria klingt ein wenig knurrig, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht mir gilt. Deswegen erhebe ich mich und lächele ihr noch einmal zu, bevor ich hinaus in den Flur gehe und tief durchatme, nachdem die Tür hinter mir ins Schloss gefallen ist. Wie soll ich hier eine ganze Woche überleben? Die anderen haben wenigstens Interesse an mir gezeigt. Aber Nevis? Er gibt mir das Gefühl eine notwendige Last zu sein. Mit bitterem Geschmack entscheide ich mich es ihm so einfach wie möglich zu machen. Er will mich nicht und ich werde mich nicht aufdrängen. Wasser steht bereits in meinen Augen, als ich endlich mein Zimmer wiedergefunden habe. Nur langsam lässt der Druck nach und ich sinke an Ort und Stelle zusammen.
Am Abend scharrt es an meiner Tür. Ich habe mich den ganzen Nachmittag damit beschäftigt, die Kleidung zu begutachten, die mir Gaia für den Winter hat zukommen lassen. Sorgsam habe ich sie in den Schrank geräumt und dabei jedes Teil genauestens betrachtet. Danach habe ich lange aus dem Fenster gesehen und die Schneeflocken in ihrem Kampf mit dem Wind beobachtet. Das war sehr hypnotisch und beruhigend gewesen. Dennoch … meine Gedanken sind nie von Nevis abgedriftet. Wie soll ich diese Woche hier nur überleben?
Es scharrt erneut an der Tür.
»Komm rein, Iria«, rufe ich und gehe in die Mitte des Zimmers, um sie in Empfang zu nehmen. Erst als sich die Tür öffnet und Iria zurück auf ihre vier Pfoten fällt, wird mir klar, dass Türenöffnen für einen Wolf nicht unbedingt die einfachste Übung ist.
»Oh verzeih, Iria. Ich vergaß, dass du …«
»Schon gut«, unterbricht sie mich und kommt herein. Mit einer Hinterpfote stößt sie die Tür wieder zu. »Nevis ist zurück.«
»Oh, … äh, schön«, stammele ich und streiche über meinen mit Schnee bedeckten Zopf. Ich frage mich wie schon so oft, wieso der Schnee in der Wärme des Hauses nicht schmilzt. Nervös gehe ich rückwärts und setze mich auf das Bett. Iria folgt mir und springt neben mich.
»Was ist los, Maya?«, fragt sie mit liebevoller Stimme und legt ihren Kopf auf meinen Schoß. Ich kann nicht anders und streichele über ihr weiches, weißes Fell.
»Nevis will mich gar nicht hier haben«, teile ich meine Sorge mit der Wölfin. Sie sieht zu mir auf, ohne ihren Kopf zu heben.
»Du weißt, dass das nicht wahr ist. Nevis mag dich mehr, als ihm lieb ist, und er hat Angst, dass er sich zu sehr an dich gewöhnt. Er will nicht verletzt werden, wenn du für immer gehst.«
»Ja, aber was soll ich dagegen tun?« Hilflos seufze ich und Iria nimmt ihren Kopf hoch, um mir in die Augen zu sehen.
»Bleib bei uns.«
»Das will er nicht. Das hat er mir schon gesagt.«
»Dann hat er gelogen«, zischt Iria. »Er will sich selbst vor einem gebrochenen Herzen schützen. Dass dies bereits unausweichlich ist, will er nicht einsehen.«
»Wie meinst du das?«, frage ich verwirrt.
»Wenn du einen seiner Brüder erwählst, wirst du ihm das Herz damit brechen. Glaube mir.«
»Iria?« Meine Stimme klingt so müde, wie ich mich fühle.
»Ja?«
»Was soll ich deiner Meinung nach tun?«
»Ihm nach dieser unendlich langen Zeit hundert glückliche Jahre schenken.« Iria legt den Kopf schief. »Ich mache mir wirklich Sorgen um ihn, Maya.«
»Jesien auch.«
»Der Herbst ist ein anständiger Kerl.« Irias Stimme klingt ein wenig gezwungen. »Du magst ihn sehr, oder?« Ich begreife dass sie Angst hat, ich könnte ihn anstatt ihres Nevis‘ erwählen.
»Ja, er ist ein guter Freund geworden.«
»Aber dein Herz schlägt für Nevis, oder?«, hakt sie nach. »Ich habe deine Blicke bei der Göttin gesehen.«
»Ich kann es mir nicht erklären. Irgendwie zieht er mich magisch an und das obwohl er mich so sehr abweist.«
»Na, darauf können wir aufbauen.« Die Wölfin klingt amüsiert. »Was du damals in Gaias Garten zu ihm gesagt hast«, sagt sie plötzlich wieder ernst, »beschäftigt ihn immer noch. Deine Umarmung, die Stellen, an denen du ihn berührt hast. Er hegt und pflegt sie in seiner Erinnerung.«
»Wie soll ich nur zu ihm durchdringen, Iria?«
»Wir lassen uns was einfallen, ja?«
Ich nicke und seufze frustriert und hilflos. »Und jetzt?«
»Jetzt gehen wir zusammen zu ihm ins Wohnzimmer.«
»Na gut.« Wackelig erhebe ich mich
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