Morituri - Die Todgeweihten
zweitausend Frauen für Kym auf die Straße gegangen waren, formierten sich am Wahltag in zwei Bezirken an die fünfzehntausend Mütter.
Ganze A-Grav-Mannschaftsgleiter der Polizei ergriffen vor ihnen die Flucht.
Sie zogen drei Stunden lang von einem Bezirk zum nächsten und versammelten Wähler aller Geschlechter hinter ihrem Banner, auf dem das Abbild der Märtyrerin, der verurteilten Straßenräuberin, zu sehen war.
Dann marschierten sie geschlossen zur Wahl; ihre Zahl war auf sechzigtausend angeschwollen. Einige besonders wütende Frauen wählten 130mal oder noch öfter, bevor die Wahllokale schlossen.
Solon Kenna erschien bei Tagesanbruch in den Anwerbehallen der Gewerkschaft in den Docks. Er verteilte seine Bestechungsgelder so fett und breit gestreut, dass man mit dieser Schmiere mit Leichtigkeit eine Flotte Zerstörer in die Luft gebracht hätte, und während er jede Hand schüttelte und jede Tasche füllte, blickte er jedem einzelnen in die Augen und gab den Tagesbefehl aus.
»Geh zur Wahl. Sorge ordentlich für Unruhe.«
Die Massen der Arbeiter schwärmten aus dem Tor. Bis tief in die Nacht wurde gewählt und gekämpft.
Solon Walsh trat der Livie-Meute mit gelassener, jugendlicher Tugendhaftigkeit entgegen. Sein Zorn war jedoch so gewaltig, dass sogar seine stählernen Hände zitterten, als er das Blatt Papier mit der neuesten, entsetzlichen Nachricht vor den Kameras schwenkte.
»Ein weiterer unglaublicher Frevel, meine Mitbürger. Das Kabinett hat in seiner unendlichen Weisheit soeben angeordnet, dass unsere Credits ab sofort um die Hälfte abgewertet werden! Was hat mein feiger Gegenspieler, Tyrenne Yelad, dazu zu sagen?«
Hätte jemand genauer hingesehen, hätte er nur ein paar handschriftlich hingekritzelte Worte auf dem Papier entdeckt. Es war eine Nachricht von Raschid, eine dick unterstrichene Erinnerung:
»Verkünde diese Nachricht auf keinen Fall mit einem Grinsen!«
Walshs sturmumwölkte Stirn war ein vollendetes Kunstwerk. Um die Mittagszeit herum wurde Yelads eilig einberufene Pressekonferenz zur Entgegnung auf Walshs Anschuldigungen abgesagt. Es gab weitaus schlimmere Nachrichten aus dem 22. Bezirk: An der verbliebenen Brücke waren gewaltige Risse festgestellt worden.
Aus dem 22. Bezirk erschienen nicht mehr als siebenhundert Leute zur Wahl; das bedeutete, dass Yelad auch nicht auf die Stimmen der Toten zurückgreifen konnte.
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit trafen die ersten von mehreren hundert Lastgleiterladungen mit falschen Wählern in der Hauptstadt von Dusable ein. Auf dem ganzen Planeten karrte Yelad auf ähnliche Weise Verstärkung zu den Wahllokalen. Die Wähler wurden von Wahllokal zu Wahllokal eskortiert, um für den Tyrenne zu stimmen, wobei ihnen für jede Stimme ein Gutschein ausgehändigt wurde. Die Gutscheine konnten anschließend gesammelt in Bargeld umgetauscht werden. Auf jedem Wagen saßen einige erfahrene Profis, die es schafften, bis Mitternacht zweihundert bis dreihundert Wahllokale aufzusuchen. Für sie war das sehr lukrative Akkordarbeit.
Raschids Streitmacht wartete in einer Seitenstraße, bis der erste Laster vorüber war. Dann schwärmten sie aus, schwangen ihre Knüppel und schleuderten Flaschen mit explosiver Flüssigkeit auf die Fahrzeuge. Die Besatzung des ersten Lasters wurde vom Fahrzeug heruntergezogen und verdroschen, der Laster von seinen A-Grav-Kufen gekippt und angezündet. Das brennende Wrack versperrte den nachfolgenden Fahrzeugen den Weg.
Dabei hätte man eigentlich keine Barrikade benötigt. Die anderen Wagen konnten entweder rasch überwältigt werden, oder sie drehten von selbst bei und suchten das Weite. Verfolgt wurden sie nicht. Raschid hatte es in jeden einzelnen Schädel hineingetrommelt: Was auch passiert, haltet euch an die Vorgaben.
Jemand brach das Tresorfach des Lastgleiters auf und verteilte die gefälschten Wahlkarten – auch das eine Vorgabe aus Raschids Checkliste.
Gillia war ein abgehärteter Veteran aus zwanzig Jahren Wahlkampfkampagnen mit Muskelspiel und schmutzigen Tricks. In letzter Zeit war ihm das alles zuviel geworden. Er dachte daran, sich zur Ruhe zu setzen. Nur aus Loyalität Yelad gegenüber hatte er beschlossen, noch eine letzte Kampagne mitzumachen. Hinzu kam die Einschätzung der Experten, dass diese Wahl der reinste Spaziergang werden würde. Kenna hatte nicht die geringste Chance, was wiederum hieß, dass Gillia sämtliche Möglichkeiten offen standen, noch mehr Rahm als sonst
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