Morituri - Die Todgeweihten
einer Seitenstraße, von dem sofort viele Polizisten herabsprangen, die die gleiche Montur wie die Garde des Tyrenne trugen und knüppelschwingend, prügelnd und um sich tretend auf die Menge losgingen. Die Frauen heulten vor Empörung auf, und die echten Polizisten wollten ihren Augen nicht trauen. Was waren das für Kerle? Sobald sich die Frauen von ihrem ersten Schreck erholt hatten und sich heftig zur Wehr setzten, zogen sich diese Uniformierten so rasch zurück, wie sie aufgetaucht waren. Die folgende Schlacht ging in die Geschichte von Dusable ein. Hunderte von Müttern wurden bei einem Krawall verletzt, bei dem ein ganzer Planet als Augenzeuge vor den Livie-Geräten saß.
Es dauerte nicht lange, und Yelads guter Name hatte sich in ein Synonym für Dreck und Abscheu verwandelt.
Der Strohmann trat wie ein Champion auf.
Die besten Rechercheure und Redenschreiber, die man mit Mordida kaufen konnte, spuckten ein Dauerfeuer von Attacken gegen das Privatkabinett aus. Reklamespots wurden erstellt, die einen überreizten Ochsen in vollem Lauf aufgehalten hätten. Raschid war nur noch am Wirbeln; er zerstörte und zerfetzte und setzte alles wieder neu zusammen.
Solon Walsh setzte sich durch. Haushoch.
Er fing recht unspektakulär mit einer eher betrübten Rede über die Schwierigkeiten an, mit denen die Bewohner von Dusable zu kämpfen hatten, wobei er die Frage, wer dafür verantwortlich zu machen war, noch offenließ. Bei seinem nächsten Auftritt nahm er jedoch die Pose eines empörten und betrogenen Bürgers ein. Er schäumte vor Wut über die Fakten, die ihm in jüngster Zeit zugespielt worden waren. Das AM 2 wurde den Cairenes mutwillig vorenthalten. Sämtliche Preisabsprachen wurden ignoriert. In einer feurigen Rede nach der anderen forderte Solon Walsh unmissverständlich Gerechtigkeit für die Cairenes ein. Dusable brauchte jetzt eine starke Hand, predigte er. Eine, die diesen teuflischen Regenten des Privatkabinetts gegenüber zu nichts verpflichtet war.
Tyrenne Yelad reagierte zunächst verhalten. Die Durchtriebenheit von Walshs Kampagne überraschte ihn. Doch Avri versicherte Yelad, dass das alles Teil des Plans sei, Kenna reformistische Parteigänger abzujagen. Da Yelad selbst Mordida für Walshs Wahlkasse überwies, war er beruhigt. Was gingen ihn die Angriffe auf das Privatkabinett an? Diese exaltierten Geschöpfe kümmerten sich selbst auch nicht um das Geschwätz eines Nicht-Kandidaten wie Solon Walsh.
Um jedoch die Zügel nicht aus der Hand zu geben, ließ er von seinen eigenen Redenschreibern kleinere Kurskorrekturen vornehmen. In einigen besänftigenden Ansprachen ging er dazu über, das Kabinett zu verteidigen.
Raschid sorgte dafür, dass jede einzelne dieser Reden verbreitet und wirksam ausgeschlachtet wurde. Er verwandelte Yelads verhaltene Erläuterungen in gigantische Werbespots am Himmel und drehte Yelad jedes einzelne Wort im Mund herum.
Dann brach der andere Mist über ihn herein: der gestockte Saft. Der mörderische Krieg unter den Polizisten. Die Gangsterübergriffe. Etcetera, etcetera. Yelad war so sehr damit beschäftigt, überall zu besänftigen und Lecks abzudichten, dass ihm nicht einmal auffiel, dass Solon Kenna, sein Erzrivale, selbst kaum so etwas wie einen Wahlkampf führte.
Drei Tage vor der Wahl berief der Tyrenne eine Krisensitzung ein. Sein Vertrauen war erschüttert.
Yelad sah aus wie ein Punchingball: dünner Unterbau und dünner Oberkörper, aber mit einer beachtlichen Kugel in der Mitte. Er wählte seine Schneider danach aus, dass diese Defekte eher betont als überspielt wurden. Die Kleider selbst waren aus Material nur wenig oberhalb der Mittelklasse gefertigt. Yelad wohnte im selben Bezirk, im selben kleinen Haus, in dem er aufgewachsen war. Er war nett zu seiner Mutter, erzählte nur Gutes von seiner Frau und brachte seinen missratenen Kindern, die ihm und sich selbst viel Kummer bereiteten, großes Verständnis entgegen. Alle diese Eigenschaften hatte er während vieler Jahre Wahlkampf sorgfältig entwickelt. Die Botschaft lautete folgendermaßen: Als Mann des Volkes besaß Yelad auch viele Mängel der einfachen Leute – aber auch viele hausbackene Stärken. Diese Strategie war einer der Gründe dafür, dass er ein ums andere Mal die Wahlen gewonnen hatte.
Abgesehen davon verfügte er über eine ausgedehnte Patronage und seine gewaltige Schmiermaschine. An diesem Abend jedoch lief überhaupt nichts wie geschmiert. Yelad war halb betrunken, auch das eine
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