Morland 03 - Das Vermächtnis der Magier
Kampfgefährten johlend und lachend die Treppe hinunter. Ihre Rucksäcke hatten sie nicht mehr dabei.
»In Deckung!«, schrie Egino. »Wir haben das Gas aufgedreht. Gleich fliegt hier alles in di e …«
Er konnte seinen Satz nicht mehr vollenden, denn eine Reihe gewaltiger Detonationen zerschmetterte erst die Fenster und brachte das Dach zum Einsturz. Der letzte Schlag war so mächtig, dass er das Gebäude förmlich auseinanderriss. Eines der Boote wurde von einem herumfliegenden Trümmerteil getroffen und sank.
Lennart war plötzlich fast taub. Außer einem lauten Pfeifen und dem eigenen Atem hörte er nichts mehr. Er musste husten und ein stechender Schmerz fuhr ihm in die Seite. Jemand half ihm auf die Beine. Es war Helga Varnrode. Auch sie war von der Explosion überrascht worden, aber im Gegensatz zu Egino und seinen Mitstreitern lebte sie noch. Elverum lag auf dem Boden. Ein rotes Rinnsal lief aus seinen Ohren. Lennart beugte sich zu ihm hinab und wäre dabei fast über einen Ziegelstein gestürzt. Er drehte den Polizisten auf die Seite, aber es war nicht zu erkennen, ob Elverum noch lebte. Halldor Schartess war von einem Balken am Bein getroffen worden. Auch er blutete aus mehreren Wunden. Tallak war tot, dazu bedurfte es noch nicht einmal eines zweiten Blickes. Lennart hielt sich die Seite und hustete erneut. Helga fasste ihn an der Schulter an und zeigte hektisch auf eine Gruppe von Menschen, die sich ihnen näherten. Sie fasste sich an die Schläfen und schloss die Augen. Wie Marionetten, deren Fäden man durchtrennt hat, brachen sie zusammen und blieben reglos liegen. Sie sagte etwas, das Lennart bei all dem Pfeifen und Dröhnen in seinem Kopf nicht verstehen konnte, und nahm ihn in die Arme – und das ziemlich fest. Lennart wollte sich aus ihrem Griff befreien, aber da hatte er schon keinen Boden mehr unter den Füßen. Er flog. Als er das bemerkte, klammerte er sich umso stärker an Helga fest. Der Flug dauerte nicht lange. Helga steuerte ein Haus im Regierungsviertel an, das im Gegensatz zu den anderen Gebäuden noch erleuchtet war. Lennart erkannte es wieder. Es war das Exzelsior, das beste und teuerste Hotel der Stadt, in dem normalerweise Staatsgäste untergebracht wurden.
Sie landeten in einer schmalen Seitengasse und eilten zum Haupteingang. In der Lobby saßen verstörte Gäste auf ihren Koffern. Beim Eintritt der beiden sprangen sie auf und bedrängten Lennart mit Fragen. Er hörte jedoch noch immer kaum etwas. Helga wehrte die Leute ungeduldig ab und zog ihn zur Rezeption, wo sie den Empfangschef ansprach. Der Mann blickte von seinen Büchern auf und zeigte auf einen kleinen Nebenraum, der wohl zur Kofferaufbewahrung diente. Unbeirrt zerrte Helga Varnrode Lennart hinter sich her, und noch immer verstand er nicht, was überhaupt vor sich ging. In dem kleinen Raum war ein Portier damit beschäftigt, die Unordnung zu beseitigen, damit die Koffer aus der Eingangshalle hier abgestellt werden konnten.
Helga Varnrode redete auf den Mann ein, der zunächst energisch den Kopf schüttelte und dann, als Helga nicht lockerließ, schicksalsergeben die Schultern hängen ließ. Er ging fort, nur um kurz darauf mit einem Atlas, einem Blatt Papier und einem Stift zurückzukehren. Helga schaute im Index nach und öffnete dann die Seite, auf der eine Karte von Morvangar abgebildet war. Lennart verstand noch immer kein Wort. Das enervierende Pfeifen hatte nachgelassen, der Druck in seinem Kopf aber war geblieben. Der Portier kritzelte etwas auf einen Zettel und schob ihn Lennart zu.
Mein Name ist Armand und ich werde Sie zu Ihren Kindern nach Horvik bringen .
»Wann?«, fragte Lennart.
Armand schrieb nur ein Wort auf den Zettel. Lennart konnte es lesen, obwohl es auf dem Kopf stand. Es lautete: Jetzt.
***
5. September 2003
Irina war die Letzte, die mit unbekanntem Ziel abreiste. Niemand fragte nach den Blumen, die noch in unserer Obhut waren. Keiner wollte mehr etwas mit ihnen zu tun haben. Wassili nahm sich vor, seine Fähigkeiten nur noch dann zu nutzen, wenn er keine andere Wahl mehr hatte. Ansonsten wollte er ein ganz normales Leben irgendwo in Kanada führen. Vielleicht eine Frau finden, heiraten, Kinder kriegen. Ich wünschte ihm dabei viel Glück. Am Ende blieben nur Nora und ich zurück. Irgendwie hatten wir das Gefühl, dass ein wichtiger Abschnitt unseres Lebens gerade sein Ende gefunden hatte.
»Diese Welt wird untergehen und wir sind schuld daran«, sagte Nora.
Was sollte ich darauf
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