Morland 03 - Das Vermächtnis der Magier
sagen? Im Grunde gebe ich ihr Recht, auch wenn ich glaube, dass es eine Verkettung unglücklicher Umstände war. Aber wir sind die Einzigen, die es hätten verhindern können. Nur dass uns damals die Weitsicht fehlte. Aber selbst wenn wir die Schatten zukünftiger Ereignisse erkannt hätten, wären wir auch den richtigen Weg bis zur letzten Konsequenz gegangen? Wir hätten alles daransetzen müssen, die Blumen zu vernichten, um schließlich unserem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Doch nun war der Geist aus der Flasche entwichen. Keine Macht der Welt konnte das rückgängig machen.
»Wir müssen Guselka einweihen«, sagte ich. »Alleine haben wir keine Chance, das Schlimmste zu verhindern.«
Nora lachte resigniert. »Was immer wir auch tun, am Ende steht die Katastrophe.«
Ich packte Nora an den Schultern und schüttelte sie. »In einem Punkt stimme ich mit Ilja überein: Kampflos werde ich mich nicht in mein Schicksal fügen.«
»Andre, ich bin müde«, jammerte sie.
Nora schläft noch immer mindestens vierzehn Stunden am Tag. Manchmal, wenn sie zu viel arbeitet, kommt es vor, dass sie mitten in einer Unterhaltung einschläft. Ich glaube, in der Medizin nennt man das Narkolepsie. Auto fahren ist für sie extrem gefährlich. Vor einem Monat hat sie das endlich eingesehen und sich seitdem nicht mehr hinters Steuer gesetzt.
»Dann schlaf«, sagte ich. »Leg dich hin. Und wenn du wieder wach bist, reisen wir nach Dubna.«
6. September 2003
Guselka im Seuchenzentrum einen Besuch abzustatten, war zu gefährlich. Ich wusste aber, dass der NKWD-Mann nicht allzu weit davon entfernt, am Wolgastausee, eine Datscha besaß. Es dauerte eine Weile, bis wir das Bewegungsmuster der Wachen durchschauten und uns an ihnen vorbeischleichen konnten. Ich drang in das Haus ein und öffnete eine Hintertür, durch die ich Nora hereinließ.
Guselka lebte nicht schlecht. Als hochrangiger Offizier des Geheimdienstes verdiente er so viel, dass er sich nicht nur ein großzügiges, von Birken bewachsenes Grundstück leisten konnte. Auch das Haus war rustikal und geschmackvoll eingerichtet. Wir bedienten uns schamlos aus dem Kühlschrank und setzten uns ins Wohnzimmer, wo wir auf ihn warteten.
Gegen Mitternacht hörten wir, wie die Haustür aufgeschlossen wurde und Guselka sich von seiner Leibwache verabschiedete. Ohne das Licht einzuschalten, betrat er das Haus. Er stellte die Tasche ab und ging zu einem kleinen Schrank, um sich einen Wodka einzuschenken.
»Leider fehlt mir der Bourbon, um einen anständigen Mint Julep zu mixen, aber ich glaube, Andre trinkt noch immer gerne einen vernünftigen Starka«, sagte Guselka. »Oder täusche ich mich da?«
»Woher wissen Sie denn, dass wir da sind?«, fragte ich im Dunkeln.
»Ich wäre ein schlechter Agent, wenn ich das nicht bemerkt hätte«, sagte er und schenkte außer dem seinen zwei weitere Gläser ein. Er stellte sie auf den Tisch und ließ sich in einen Sessel fallen. »Außerdem hatte ich gehofft, dass Sie mich irgendwann aufsuchen.«
»Lassen Sie deswegen Ihr Grundstück nur von vier Männern bewachen?«, fragte ich.
Guselka grinste und leerte sein Glas in einem Zug. »Ich glaube, ich habe Ihnen beiden noch nicht zu Ihrem Coup gratuliert. Alle Achtung, das war auch mit Ihren Gaben eine Meisterleistung.«
»Es tut mir leid wegen des Mannes, der getötet wurde.«
»Ilja Woronesch ist ein Psychopath. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich ihn nicht infiziert.«
»Wir brauchen Ihre Hilfe«, sagte Nora. »Woronesch hat sich mit Oksana Alelujewa abgesetzt und einige der Blumen mitgenommen.«
Guselka erstarrte. Für einen Moment sah es so aus, als wäre alles Leben aus ihm gewichen. Doch dann zwang er sich zu einem Lächeln und stand auf. »Sie haben schon gegessen?«
»Woher wissen Sie das«, fragte ich, nun wirklich überrascht.
»Der Geruch des Schinkens hängt noch in der Luft und ich habe eine sehr feine Nase.«
Die hatte er allerdings.
»Ich habe noch eine Okroschka, die für uns drei reichen müsste. Also, wie sieht es aus?«
Nora stand auf. »Ich helfe Ihnen.«
Gemeinsam gingen wir in die Küche. Guselka schaltete das Licht nicht ein.
»Tiefe Teller stehen in dem Schrank dort oben, Besteck ist in der Schublade.« Ich deckte den Tisch, während Nora ein Brot in Scheiben schnitt. »Was möchten Sie trinken? Ich habe hier noch drei kalte Biere.«
»Gerne«, sagte ich und öffnete eine Flasche mit einem Messergriff. Nora lehnte ab. Wir setzten uns an den Tisch und
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