Morland 03 - Das Vermächtnis der Magier
Labor bringen und sie dort untersuchen.«
»Und wie sollen wir sie transportieren?«, fragte Nora.
»Keine Ahnung.« Ich nahm die Flasche und hielt sie neben die Blumen. »In einem Plastikbehälter vielleicht?«
»In einer Kühlbox«, schlug Nora vor.
Ich stellte meine Lampe ebenfalls auf den Tisch, weil sie mit ihrem großen Akkupack langsam schwer wurde, und legte, ohne nachzudenken, die Blume, die ich noch immer in der Hand hielt, dazu. Als ich meinen Fehler bemerkte, war es schon zu spät. Die Blume begann zu oszillieren, gleichzeitig flackerte das Licht der beiden Lampen.
»Scheiße!«, rief ich und versuchte die Blume zu packen, aber sie ließ sich nicht greifen. Genauso gut hätte ich versuchen können, einen Schwarm Hornissen mit bloßen Händen zu fangen.
Nora ergriff die Lampen. Ich konnte sehen, dass das Gehäuse bereits schwer beschädigt war. Ein kurzes Flackern, dann erloschen beide.
»Oh nein«, stöhnte ich. »Das hat uns gerade noch gefehlt.« Ich begann blind nach Nora zu tasten und hoffte, nicht über die drei Leichen zu stolpern.
»Andre?«, sagte Nora leise.
»Ja, was ist?«, sagte ich ungeduldig, denn ich grübelte verzweifelt darüber nach, wie wir uns aus dieser düsteren Lage befreien konnten.
»Ich habe meine zweite Gabe entdeckt«, flüsterte Nora. »Ich kann im Dunkeln sehen.«
Als Tess am nächsten Morgen von Andre geweckt wurde, wollte sie zunächst um nichts in der Welt das Bett verlassen.
»Lassen Sie mich«, murmelte sie in ihr Kopfkissen. »Ich bin müde. Ich will nicht aufstehen!«
Doch Andre war gnadenlos. Mit einem Ruck riss er die Vorhänge auf. Helles Sonnenlicht durchflutete das Zimmer. Tess zog sich mit einem wütenden Schrei die Decke über den Kopf.
Andre hob das Tagebuch auf, das vom Nachttischschrank gefallen war, und warf einen Blick auf die aufgeschlagene Seite, bevor er es zurücklegte.
»Hast du gestern noch lange gelesen?«
Als Antwort kam ein gedämpftes »Hm« zurück. Schließlich hob Tess den Kopf und setzte sich stöhnend auf.
»Ich habe bestimmt nur die Hälfte verstanden«, sagte sie. »All dieses wissenschaftliche Zeug und dann das seltsame Land, in dem Sie gelebt haben.«
Andre setzte sich auf die Bettkante und lächelte traurig. »Die ganze Welt war seltsam. Wir konnten zum Mond fliegen, schafften es aber nicht, Kinder vor dem Hungertod zu bewahren. Alles war von Regeln bestimmt. Erst als wir uns verwandelten, sahen wir die größeren Zusammenhänge. Aber da war es schon zu spät.«
Tess strich sich das wirre Haar aus der Stirn. »Wenigstens ist Nora nun für mich kein ganz so großes Rätsel mehr.«
»Warum?«, fragte Andre überrascht.
»Nora ist blind«, sagte Tess. »Zumindest die gealterte Nora, die ich in meiner Welt kennengelernt habe. Und dennoch hatte ich immer den Verdacht, dass sie irgendwie sehen kann. Jetzt weiß ich, dass mich meine Ahnung nicht getrogen hat.«
Andre stand auf. »Komm, lass uns frühstücken. Der Kaffee wird kalt.«
Tess war nun schon den dritten Tag auf der Farm. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich, als hätte sie eine Heimat gefunden. Die Welt, in der Andre lebte, wirkte jung und unverbraucht. Die Luft war sauber und fast immer schien die Sonne, was aber auf die sommerliche Jahreszeit zurückzuführen war, wie Andre erklärte.
Der Tisch war gedeckt, das Brot frisch gebacken. Es gab Eier, Honig, selbst gemachte Marmelade, goldgelbe Butter und kuhwarme Milch. Zwei große Tassen standen auf dem Tisch, die Andre jetzt mit Kaffee füllte. Tess setzte sich und brach sich ein Stück Brot ab.
»Wie immer zwei Stücke Zucker?«, fragte Andre.
Tess nickte. »Wo kriegen Sie die Sachen eigentlich her?«, fragte sie. »Benutzen Sie Ihre Gabe?«
»Am Anfang habe ich sehr häufig von ihr Gebrauch gemacht. Das Haus, die Scheune und alles, was du an Gerätschaften hier siehst, habe ich geschaffen«, sagte Andre. »Die Marmelade habe ich aus verschiedenen Waldbeeren gekocht. Der Kirschbaum hinter dem Haus dürfte nächstes Jahr seine ersten Früchte tragen. Dort befinden sich auch zwei Bienenstöcke. Milch, Butter und Käse liefern Viktoria und Luise.«
»Die Kuh und die Ziege, die im Stall stehen«, sagte Tess mit vollem Mund.
»Das Getreide habe ich selbst angebaut und zu Mehl verarbeitet. Ansonsten lebe ich nach den Jahreszeiten. Kräuterrahm im Frühjahr, Salat mit Gurken und Tomaten im Sommer, Kürbisse im Herbst, Kohl im Winter. Dazu gibt es Linsen, Bohnen, Erbsen und eine Reihe anderer
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