Morland 03 - Das Vermächtnis der Magier
war die zweite in vierundzwanzig Stunden. »Und dieses Misstrauen wird wachsen, wenn wir beide weiter miteinander flüstern. Also sei still.« Er knöpfte unter den Augen Lukassons die Hose wieder zu und verschloss das braune Lederetui, um es in die Innentasche seiner Jacke zu stecken.
York spürte erst an der Schieflage der Unverwundbar , dann an einem wachsenden Unwohlsein, dass sie sich im Sinkflug auf das Arbeitslager befanden. Es war eine bohrende, nicht genau zu lokalisierende Übelkeit, als hätte er verdorbenen Fisch gegessen. Auch Mersbeck wurde zusehends bleicher. Und das lag nicht an dem Schmerzmittel, wie York vermutete.
»Wie tief sind wir?«, fragte er.
»Zweitausend Fuß, Entfernung eine Meile«, sagte Sönders.
Mersbeck stand auf und begab sich zum Passagierraum. York konnte durch die Tür sehen, wie er eine kleine Klappe im Boden öffnete und eine Kamera herauszog, die er neben sich auf den Boden stellte.
»Gehen Sie tiefer«, rief Mersbeck. »Sechshundert Fuß. Und betätigen Sie den Hebel, wenn ich Ihnen den Befehl dazu gebe!«
Sönders antwortete nicht.
»Haben Sie mich verstanden?«, fuhr ihn Mersbeck an.
»Ja«, murrte der Kapitän. Kein Einwand von Henriksson, kein böser Blick von Eliasson. Nur Lukasson grinste in sich hinein.
York schloss die Augen und lehnte den Kopf an die Wand. Schon jetzt war ihm so schlecht wie im toten Wald und sie hatten noch nicht einmal die vorgesehene Höhe erreicht.
Henriksson gab Eliasson sein Gewehr und stellte sich an das Fenster, um nach unten zu schauen. »Oh mein Gott!«, flüsterte er.
Auch York blickte jetzt hinaus. Er hielt sich mit aller Kraft an der Reling fest, denn der Anblick, der sich ihnen bot, war erschütternd. Eine gewaltige Bombe musste inmitten eines riesigen Kraters explodiert sein. Überall lagen grässlich zugerichtete Leichen. Im Vergleich zu diesem Szenario hatte der Tod in Morvangar seine Opfer beinahe sanft dahingerafft. York stöhnte vor Schmerz, als er sich unter dem wachsamen Blick Lukassons wieder auf seinen Platz setzte. Ihm war, als hätte jemand ein Messer in seinen Unterleib gestoßen und es dann genüsslich umgedreht.
Auch Mersbeck ging es nicht besser. Mit fahlem Gesicht hielt er sich die Seite.
»Jetzt!«, rief er.
Sönders zog den Hebel. Die Ladeluke öffnete sich und sie konnten sehen, wie der Koffer mit den Blumen sich langsam überschlagend nach unten fiel und im Krater verschwand.
»Hoch jetzt!«, schrie Mersbeck, der die Schmerzen nicht mehr ertragen konnte. Er rollte sich auf die Seite und stieß einen Schrei aus. »Hoch, verdammt noch mal!«
Auch York glitt von seinem Stuhl zu Boden und blieb keuchend liegen. Er war so schwach, dass er kaum mehr atmen konnte.
»Hoch!« Mersbecks Schrei war nur noch ein heiseres Gurgeln.
York sah, wie Henriksson dem Kapitän zunickte und an Mersbecks Seite eilte, um ihm zu helfen. Sönders drehte an einem Rad und betätigte verschiedene Hebel. Ballast wurde abgeworfen und die Unverwundbar stieg wieder. Erst als sie eine Höhe von anderthalb tausend Fuß erreicht hatte, ging es York gut genug, dass er aufstehen konnte. Eliasson reichte ihm eine Hand, die York dankbar annahm.
Auch Mersbeck ging es besser. Er musste sich zwar auf Henriksson stützen, aber er stand wenigstens wieder auf seinen eigenen geschundenen Füßen.
»Wohin soll ich jetzt Kurs nehmen«, fragte der Kapitän, als wäre nichts geschehen und dies ein ganz normaler Routineflug.
»027«, sagte Mersbeck. »Wir fliegen zu Statio n 11.«
***
20. Juni 2003
Langsam erholte sich Nora von der Verwandlung. Sie schlief nun nicht mehr zweiundzwanzig Stunden am Tag, sondern nur noch achtzehn. Das war zwar weit von den acht Stunden entfernt, die ein normaler Mensch im Bett verbrachte, aber es war ein Fortschritt. Nora konnte wieder ansatzweise am Alltag teilnehmen. Die Träume – oder »Visionen«, wie sie sie nannte – suchten sie jedoch noch immer heim.
Seit den beiden Vorfällen in der Spurendriftkammer und der Isolierstation bin ich nicht mehr durch Wände gegangen. Ganz ehrlich: Ich weiß auch nicht, wie ich diesen Zustand bewusst herbeiführen könnte. Langsam glaube ich, dass alle Anwesenden Opfer einer Täuschung wurden und gar nichts geschehen ist.
Doch auch dieser Gedanke vermochte mich kaum zu beruhigen, als wir nach Dubna fuhren.
Es ist erstaunlich, wie schnell Gras wachsen kann, wenn es niemand mäht. Nun, die Rote Armee, die den Forschungskomplex bewachte, hatte bestimmt andere Probleme, als
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