Morpheus #2
hatte?
Oder ist es noch schlimmer – gibt es eine Verbin-
dung zwischen den Drogenkartellen und Polizeikor-ruption? Oder haben wir es mit einem perversen Psychopathen zu tun, der mitten in der Nacht die Polizei von Miami, unsere Freunde und Helfer, zu einer furchtbaren letzten Ruhe bettet? Wer es auch ist, Tatsache ist, daß die Ordnungshüter von Südflorida einmal mehr Trauer tragen müssen. Wieder steht der erschütternde Abschied von einem Polizisten an, der in der Nacht, während sich die Bevölke-rung in Morpheus’ Armen in Sicherheit wiegte, durch seine Hand den Tod fand… Ah, Morpheus –der Gott des Schlafes – kann manchmal auch der Gott des Todes sein.» Sie war knallrot angelaufen und verstummte. Offenbar wurde ihr gerade bewusst, dass dieser Ausflug in die antike Götterwelt irgendwie unpassend war. Nach ein paar qualvollen Schweigesekunden verabschiedete sie sich mit unglücklicher Miene: «Das war Katie Cocuy für CNN.»
Erneut richteten sich die Scheinwerfer auf Miami, erneut war die Stadt in den Schlagzeilen der Me-dienticker gelandet. Und jeder würde so lange Überstunden machen, bis der Mörder gefasst war, der nun durch das Ungeschick der kleinen Reporte-rin einen griffigen Namen hatte. Sie nannten ihn Morpheus.
SIEBZEHN
C. J. saß an ihrem Schreibtisch und sah hinunter zu den Riesenpfützen auf der 13. Straße. Der strömende Regen machte keinen Unterschied zwischen den Rechtsanwälten in ihren maßgeschneiderten Anzügen und den konservativer gekleideten Staats-dienern – den Anklägern und Pflichtverteidigern.
Vis-à-vis dem Gerichtsgebäude erhob sich das Dade County Jail, ein albtraumhafter Gefängniskas-ten aus grauem Beton und Stahl. Unter einem kleinen Vorsprung drängten sich Menschen und warteten – auf einen Angehörigen, einen Kollegen oder ihren Zuhälter, der auf Kaution freikam oder entlas-sen wurde. Vollzugsbeamte in grüner Uniform ver-scheuchten die Unbefugten regelmäßig von der Gefängnistür, doch sie kamen immer wieder.
C. J. bereitete sich auf den Weg durch den Regen vor. Für neun Uhr war die Geschworenenwahl vor dem Ehrenwerten Richter Sy Penney angesetzt, und es war bereits 8.42 Uhr. Auf dem Handwagen in der Ecke stapelten sich vier Kisten mit Akten, die sie irgendwie in trockenem Zustand über die Straße bekommen musste.
Auf dem Stahlschrank in ihrem Büro stand ein tragbares Fernsehgerät und spuckte seit achtund-vierzig Stunden unablässig Berichte zu den Polizistenmorden aus. Matt und Katie, Diane und Charlie, Regis und Kelly kauten in ihren Talkshows darauf herum, bevor sie den nächsten Gast auf ihrem Sofa begrüßten oder den neuesten Film vorstellten. Und natürlich wurden zu jeder Erwähnung der Geschichte Bilder vom Tatort ausgestrahlt. Das Meer der blinkenden Streifenwagen, die schockierten Gesichter der Polizisten vor Ort und natürlich die schwarzen Leichensäcke und der überflüssige Schwenk hinüber zum Backsteingebäude der Gerichtsmedizin. All das erinnerte die aufgeregte Presse an das letzte Mal, als die Übertragungs-Vans vor den Stufen des Gerichts von Miami kampiert hatten, und so wurde, immer wenn den Redakteuren das Material zu den Polizistenmorden ausging, das Archivmate-rial der Cupido-Morde und des Bantling-Prozesses hervorgeholt.
Als Dominick angerufen hatte, hatte C. J. nicht Trauer oder Wut gefühlt – im ersten Moment hatte sie einen Anflug von Erleichterung gespürt. Dominick hatte ihr mitgeteilt, dass es sich bei dem Opfer tatsächlich um Bruce Angelillo handelte. Angelillo, ein eher einfältiger Bursche, war seit sechs Jahren in Miami-Dade auf dem Revier Kendall gewesen, und das weit weg von irgendeiner Cupido-Connection. Weder hatte C. J. je mit ihm gearbeitet, noch kannte sie ihn. Dominick hatte noch ein paar vage Details genannt, doch C. J. atmete vor allem auf, weil ihre aufkeimende Paranoia nun wieder ver-flog.
In Angelillos Privatleben war es anscheinend recht turbulent zugegangen, Dominick berichtete, der Polizist habe im zarten Alter von achtundzwanzig bereits zwei Exfrauen, außerdem zwei kleine Kinder, eins davon außerehelich. Und dann war da noch seine Personalakte. Wie bei Chavez gab es mehr Beschwerden als Empfehlungen, und es wurden bereits Parallelen bezüglich des Arbeitsethos der beiden Beamten gezogen. Bis das Drogensc-
reening zurückkam, dauerte es noch einen Tag, dann erst wüsste man, wie weit die Parallelen gingen.
Allerdings sah es so aus, als ob die Morde bei C.
J. auf dem Tisch landen
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