Morpheus #2
insgeheim gehofft. Gehofft, er würde ihr verzeihen, dass sie ohne Abschied, ohne ein Wort der Entschuldigung gegangen war. Dass sie ihn enttäuscht hatte. Ihn so verletzt hatte.
Auf jeden Fall hatte sie nicht damit gerechnet, dass er ohne zu zögern an ihr vorbeigehen würde.
Ohne auch nur ein Lächeln oder ein Nicken, ohne in irgendeiner Form auf die Worte zu reagieren, die sie ihm zugeflüstert hatte. Als ihre Blicke sich trafen, sah sie zuerst die Überraschung, dann den Schmerz und die Wut. Ihr Herz setzte aus. Einen kurzen Moment meinte sie, das heimliche Funkeln zu sehen, das nur Liebende füreinander haben, wenn ein Blick mehr als tausend Worte sagte. Doch falls es so war, dann war das Funkeln erloschen, noch bevor sie es richtig gedeutet hatte. Er war schon an ihr vorbei und zur Tür hinaus, die dröhnend hinter ihm zuschlug.
Wenn in Büchern und Filmen oder auch nur beim Mittagessen Leute zu erklären versuchten, wie sich Liebeskummer anfühlte, klang es immer wie ein Klischee. Doch in diesem Moment waren die Worte, die sie immer für melodramatisch gehalten hatte, entsetzlich wahr. Es fühlte sich an, als zerrisse etwas tief in ihrem Inneren. Sie spürte körperlich, wie ihr ein Stück aus dem Herzen gerissen wurde, so rief in ihr drin, dass die Wunde nie verheilen könnte.
Manny löste sich aus dem Kreis der Polizisten, die aus Solidarität gekommen waren. Alle wussten, dass Dominick heute wegen ihr hier stand, und jetzt sahen sie mit niedergeschlagenen Augen zu, wie er sie stehen ließ. Verlegen lächelnd kam der Bär zu ihr. Sein mitfühlender Blick sagte, dass er alles mit angesehen hatte. «Boss!», rief er.
Doch sie war schon fort. Sie verließ den Gerichtssaal, nahm den ersten Aufzug nach unten und eilte hinaus in den Sonnenschein. Sie rannte die Stufen hinunter in der Hoffnung, es bis in den Wagen zu schaffen, bevor sie hier irgendwo zusammenbrach.
NEUNUNDFÜNFZIG
«Ich weiß nicht, Tom. Richter Guthrie schien nicht besonders überzeugt», sagte der Bundesstaatsanwalt für den Middle District of Florida in den Hörer. Er drehte sich in seinem Sessel und sah hinaus auf die Innenstadt von Jacksonville.
«Willst du mir etwa sagen, das war keine gottverdammte Körperverletzung? Dass da auf dem verfluchten Video keine Verletzung der Bürgerrechte zu sehen ist?», schrie Tom de la Flors, Bundesstaatsanwalt für den Southern District, seinen Kollegen und Studienfreund am anderen Ende der Leitung an.
«Hier oben ticken die Uhren anders, Tom. Ist eben eine andere Mentalität.» Der Staatsanwalt kratzte sich am Kopf und schloss die Augen. Er wünschte, er müsste dieses Gespräch nicht führen.
Es war ihm zuwider. «Eine Menge Jungs von hier arbeiten im Strafvollzug, oben in Raiford, Lawtey, New River CI und Union. Das Hauptquartier des FDLE sitzt um die Ecke in Tallahassee und andere Behörden auch. Du kannst dir vorstellen, wie die Geschworenen entscheiden, wenn es um einen Polizisten geht.»
«Wir haben es auf Video, Jeff.»
«Denk an Rodney King, Tom. Und jetzt stellt dir vor, Rodney kommt nach Jacksonville.»
«Hier geht es nicht um Rassismus.»
«Nein, aber hier steht das Wort eines Polizisten gegen das Wort eines Arschlochs.»
«Trotzdem ein schlechtes Beispiel, Jeff. Nach-
dem das Bezirksgericht es verbockt hatte, wurden die Polizisten auf Bundesebene verurteilt.»
«Aber nur, weil niemand zusehen wollte, wie L.
A. zum zweiten Mal brennt. Hier fürchtet niemand, dass Jacksonville in Rauch aufgehen könnte. Was ich damit sagen will, ist, dass ein Video manchmal einen feuchten Kehricht wert ist.»
Jeff seufzte. Tom und er waren im selben Jahr-gang in Princeton gewesen, aber das war auch schon alles, was sie gemeinsam hatten, soweit er sich erinnern konnte. Er mochte es nicht, sich vor einem aufgeblasenen Rüpel aus Miami rechtfertigen zu müssen, ob sie Studienkollegen waren oder nicht. Jeder kleine Anwalt, den er im Süden Floridas kannte, hielt sich für einen tollen Hecht. Und kaum dass er ein Amt bekleidete, wurde es noch schlimmer. Jeff war in Jacksonville geboren und aufge-wachsen, er hatte die Stadt nur auf Drängen seines Vaters zum Studium verlassen und war gleich nach dem Examen zurückgekehrt. Nach dreiundvierzig Jahren hatte er die spöttischen Kommentare über den «alten Süden» von Seiten der arroganten Kollegen satt, die südlich von Palm Beach lebten, im Land der umgetopften New Yorker und gestrande-ten Boat-People.
«Ich weiß nicht, wie es in Miami ist», fuhr
Weitere Kostenlose Bücher