Morpheus #2
einem kühlen Bier schimpften, wie beschissen das System war. Dann wäre der Besuch vorbei, und alle fuhren zurück nach Miami, zurück zum Dienst. Nur er… er konnte schon wieder ins Fitness-Studio ge-
hen.
Endlich hörte Les Barquet damit auf, dem Richter Honig um den Bart zu schmieren und mit dem Bundesstaatsanwalt zu zanken, und packte seine Aktentasche. Dann nahm er Dominick mit über die Galerie zum Mittelgang, vorbei an seinen Freunden und Kollegen und seiner Schwester, die am Morgen aus Long Island eingeflogen war. Dominick nickte ihnen allen dankbar zu und hoffte, dass man ihm die Schamesröte nicht ansah.
Dann sah er sie – C. J. –, die allein am Gang in der Nähe des Ausgangs saß. Sie lächelte ihn sanft an. Sie sah müde aus, und selbst das Make-up konnte die dunklen Ringe unter ihren schönen grünen Augen nicht verbergen. Als sie aufstand, flüsterte sie etwas, das er nicht verstand.
Seit ihrem letzten Treffen auf seinem Hausflur war über eine Woche vergangen. Sie hatte versucht, ihn anzurufen, doch er hatte nicht zurückgerufen, und jetzt sah er sie zum ersten Mal wieder.
Es war wie ein Schlag in die Magengrube, so als hätte ihm jemand die Luft abgedreht. Sie musste hereingekommen sein, nachdem die Anklageverle-sung begonnen hatte. Als er sie vorher im Saal gesucht hatte, war sie noch nicht da gewesen. Er hatte gewünscht, dass sie nicht käme, und gehofft, sie täte es doch. Denn wenn sie nicht gekommen wäre, dann hätte er Recht behalten. Dann hätte er auf sie wütend sein dürfen.
Doch sie war da.
Verdammt, sie fehlte ihm. So sehr, dass es körperlich wehtat, sie jetzt zu sehen. Dass sie ihn so sah. Und während er sie am liebsten hier im Ge-
richtssaal gepackt und geschüttelt und festgehalten und nie wieder fortgelassen hätte, wusste er, dass sie Recht gehabt hatte. Er konnte sie nicht retten.
Er konnte ihr nicht helfen und sie nicht trösten, er konnte ihr den Schmerz und die Albträume nicht nehmen. So weit war es gekommen – ein Patt zwischen ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart, doch am Ende hatte die Vergangenheit gewonnen.
Er wusste, es würde immer so sein. Und er wusste auch, warum.
Deshalb blieb er nicht stehen, deshalb sagte er ihr nicht, wie sehr er sich nach ihr sehnte. Doch er brauchte all seine Kraft, um an ihr vorbeizugehen, hin zu dem wartenden Fahrstuhl, fort aus ihrem Leben.
ACHTUNDFÜNFZIG
C. J. beobachtete ihn von der letzten Bank des Gerichtssaals, wie er mit dem Rücken zu ihr vor dem Richter stand. Er trug den blauen Anzug, den sie letztes Jahr zusammen bei Brooks Brothers gekauft hatten. Seine sonst so breiten Schultern hingen herab. Sein Haar war kurz geschnitten. Der Ansatz von einem Bart, den sie das letzte Mal an ihm gesehen hatte, war offensichtlich abrasiert und der Schnurrbart und das Ziegenbärtchen, das beim Küssen so kitzelte, gleich mit. Richter hatten kein Vertrauen zu Angeklagten mit Gesichtsbehaarung, das wusste er. C. J. konnte ihm seine Verlegenheit sogar von hinten ansehen. Sie kannte seine Kör-persprache und spürte, dass er am Boden war.
Sie hatte im Starbucks einen Kaffee getrunken und beobachtet, wie Manny und Chris Masterson die Treppe zum Gericht hinaufgingen. Sie war sitzen geblieben, bis alle im Gebäude hinter der Sicherheitsschleuse verschwunden waren. Erst dann machte sie sich auf den Weg. Sie wusste, dass noch andere kommen würden, um ihn zu unterstützen, und so wartete sie bis nach neun Uhr – bis alle im Saal Platz genommen hatten und die Sitzung begann – und keine Zeit mehr für Smalltalk und für Fragen war. Ein Justizbeamter hatte ihr am Telefon gesagt, dass Dominick als Neunter an der Reihe war, also wusste sie, dass sie ihn nicht verpassen würde. Denn das durfte sie nicht. Sie hatte ein Versprechen gegeben.
Ich bin da für dich mit allem, was in meiner Macht steht. Wenn du es willst.
Dann hatte sie den Kaffee ausgetrunken und war über die Straße gegangen. An jenem Nachmittag vor seiner Wohnung hatte er nicht auf ihr Angebot reagiert, doch das machte nichts. Es war alles ihre Schuld. Ihretwegen stand er überhaupt hier. Sie hatte ihm mehrere Nachrichten hinterlassen, und dann war sie heute hierher nach Jacksonville gekommen. Sie würde für ihn da sein, selbst wenn er es nicht wollte.
Sie hatte nicht erwartet, dass er sie in die Arme schließen würde, wie in einem billigen Liebesroman
– dass die Zeit plötzlich stehen blieb und alles vergessen und vergeben wäre. Aber vielleicht hatte sie es
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