Morphin
sagen es, als Katarzyna Strachwitz de domo Willemann die Knöpfe ihres hohen viktorianischen Kleides aufknöpft. Ich muss dir etwas sagen, Katarzyna.
Du bist mein Leben, Katarzyna, sagen seine Augen und Hände, als sie dem Kleid von ihren Schultern fallen helfen.
Ich habe alles für dich aufgegeben, Katarzyna. Habe allem entsagt, die elf Brüder Strachwitz aufgegeben, die vor siebenhundert Jahren bei Legnica getötet worden sind und den einen, der überlebt hat, unseren Vorfahren Wojsław mit dem Wildschweinkopf im Wappen, ihn auch. Habe den Kaiser aufgegeben und seine berittenen Leibgardisten. Titel und Seniorate. Blut und Ehre habe ich aufgegeben.
Alles.
Alles.
Und jetzt muss ich dir etwas sagen.
Deine Mutter hörte die Worte nicht, die die Augen deines Vaters sprechen, Kostek.
Ich muss dir etwas sagen.
Und du mit Iga im Foxtrott. «Lass mich gehen», singt die Sängerin den nächsten Schlager Zarah Leanders. «Lass mich gehen.» Salomé zieht deinen Vater aufs Parkett, Kostek, und er geht, willenlos, betäubt, schlurft auf seinen langen, hageren Beinen, geht ungeschickt, als hätte Salomé dieselbe Leine gepackt, an der ihn einst deine Mutter hielt.
«Die Mutter ist in Warschau, Vater!», rufe ich übers ganze Parkett, Iga müsste sich eigentlich schütteln von dem Deutsch aus meinem Mund, aber sie hört es gar nicht.
Meine Mutter, die nicht schläft, Weiße Adlerin, im granatblauen Rock und granatblauer Jacke, der silberne Adler auf dem linken Arm, die Binde, ein kleines Hakenkreuz auf der Tasche, ein Parteiabzeichen und das Dreieck der NS -Frauenschaft.
Woher kenne ich die Bedeutung dieser Abzeichen, denke ich sie mir nur aus, oder bedeuten sie wirklich das, was ich glaube? Was tut sie jetzt, weiß sie, dass ich weiß, dass Vati in Warschau ist?
Also rufe ich, ich überschreie das Orchester, und alle denken, das sei das fröhliche Jauchzen einer lustigen Feier, zu feiern gibt es ja genug, in dem eroberten Restaurant tanzen die Deutschen mit den Nutten, es gibt Musik, Schnaps, alles. Also rufe ich. Mutter ist in Warschau.
Hört er, hört er das, was ich rufe?
Er hört es.
Vor zwanzig Jahren in der Richard-Holzer-Straße, über dem Café Kaiser, hilft er, das Kleid von den Armen deiner Mutter zu streifen, die fünfzig ist und immer noch schön, trockener Körper im engen Futteral der feuchten, biegsamen Haut, er hilft diesem Körper aus dem Kleid, und du schläfst den Schlaf eines kleinen Tieres.
Ich muss dir etwas sagen, sagen die Augen durch die Scharpien, hinter denen schon frische Narben sind, keine offenen Wunden mehr, ich muss dir etwas sagen, sprechen die Augen von Baldur Strachwitz, Rittmeister im zweiten schlesischen Ulanenregiment von Katzler. Katarzyna könnte ihn weiter lieben, ihre Lippen suchen nicht nach seinen zerfetzten Lippen, sie berühren seinen Hals, den gesunden Hals, sie erforschen den Schlitz des Hemdes, das Schlüsselbein, das Brustbein, Katarzyna könnte ihren Jungen weiterhin lieben, auch wenn er kein Gesicht hat. Ich muss dir etwas sagen, sagt sein Körper.
Ihre Hände an seinem Hosenschlitz.
Ich muss dir etwas sagen, sagen seine Hände und gebieten diesen Händen an den Hosenknöpfen Einhalt, da weiß sie es, sie weiß es jetzt, plötzlich hört sie diese Worte und versteht sie.
Ich muss dir etwas sagen, sagt der unbeholfene, steife Körper meines Vaters zu Salomé, und dennoch gibt er sich hin.
Und sie tanzen. Vater geht eigentlich nur über das Parkett, furchtbar, steif, um ihn herum wirbelt Salomé, als tanzte sie mit einem begnadeten Tänzer, als tanzte die ganze Welt mit ihr um ihn herum.
Mein Vater murmelt etwas. Salomé lacht.
Iga in meinen Armen. Und plötzlich der Gedanke: Wir gehen. Raus, wir müssen raus. Ich muss raus.
«Iga, lass uns gehen», flüstere ich.
«Aber nicht doch, Konstanty! Ich will trinken und tanzen!», antwortet sie lachend.
Wir gleiten im Foxtrott, und ich weiß plötzlich: Ich halte es hier keine Sekunde länger aus. Und halte es natürlich doch aus.
Plötzlich sehe ich in Igas Gesicht das Gesicht meiner Gouvernante, der Frau Czesławowa Bielska von Trąbecki, wie sie sich selbst vorstellte. Eine trockene, hochgeknöpfte, sarkastische Dame, bis aufs Hemd verarmte Aristokratin, die einen bescheidenen Finanzbeamten geheiratet hatte und, mehr um einen Kontakt mit dem alten Leben zu wahren, als des Geldes wegen, Privatunterricht in Manieren gab.
Erste Lektion. Ein guterzogener Mensch kann sicher sein, in jeder Lebenssituation
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