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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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der Zugführer den Befehl: «Zug zum Angriff – Trab – marsch!»; die Reiter setzen sich im befohlenen Gang in Bewegung, die Lanzen auf dem Schenkel, die Säbel kampfbereit. Sie nähern sich dem Feind bis auf eine Entfernung von etwa zweihundert Metern, dann gibt der Zugführer den nächsten Befehl: «Zug – marsch, marsch!»; auf diesen Befehl hin nehmen die Reiter die Lanzen hoch und stürzen sich mit einem «Hurra»-Ruf im Galopp auf den Gegner.
    «Zug … zum Angriff – Trab – marsch!»
    Die deutschen Rufe immer lauter, sie müssen schon nah sein, ich weiß nicht, warum ich nicht im Sattel sitze, muss vom Geschoss betäubt sein.
    Ein Mann zieht im Fahrstuhl den Hut, wenn er mit Frauen fährt, selbst wenn sie ihm unbekannt sind. Die Frau schenkt dem Mann weder Wein, Wodka noch Bier ein, Speisen dagegen darf sie ihm auf den Teller legen, wenn keine Bediensteten in der Nähe sind. Schulterblätter zusammen, Konstanty!
    «Zug – marsch, marsch!», rufe ich und sehe mich nach meinem Pferd um.
    Eines der Bajonette verschwindet plötzlich vor meinen Augen, der behelmte Deutsche windet sich in seltsamer Pose, ich sehe, wie er tanzt und der Kolben sich in einer Pirouette dreht, wie er langsam in meine Richtung gleitet und schließlich meine Stirn streift, hauchzart wie der Kuss meiner Mutter.
    Ich falle hin. Bin getötet. Schlaf, Kamerad, im dunklen Grab, das dir unser liebes Polen gab.
    Zwei Deutsche in heidnischen Helmen stehen vor mir, an den Helmen haben sie Schrauben mit Ösen, wie zum Vertäuen einer Yacht. An den Ösen hängen Kettchen und enteilen nach oben, durchs eigene Gewicht einen eleganten Bogen beschreibend, wie gewaltige Hundeleinen, um in der großen, schwarzen, zur Faust geballten Hand zu verschwinden.
    Ich bin nicht im Krieg, ich bin in Warschau. Über Warschau ragt eine Riesengestalt, schwarzgrau, hoch wie ein Wolkenkratzer, höher noch als das Prudential, höher als die amerikanischen Hochhäuser aus Eisen und Beton, und aus ihrer Hand fließen Tausende silberner Kettchen wie Strahlen zur Erde hernieder, feine Rucke dieser Hände lenken diese Kettchen so, wie man ein Pferd mit dem Zügel lenkt.
    Eines dieser Kettchen fließt zu mir herab, ist befestigt an meinem Hut.
    «Das ist ein Deutscher, hört ihr? Er ist Deutscher!», schreit es.
    Jemand. Schreit. Iga. Sie reißt an mir, ihre Hände auf meiner Brust, unter der Jacke, nehmen etwas heraus.
    «Hier, bitte, das sind seine Papiere.» Meine Kennkarte in ihrer Hand, sie reicht sie den Puppen am Kettchen.
    «Blöder Säufer!», spricht dieser Puppenhelm zu mir. «Bring ihn ins Bett, Weib!»
    Iga zieht mich hoch, stützt meinen Arm, wir gehen los.
    Ich sage etwas auf Deutsch, verstehe aber kein Wort davon. Ich habe Deutsch vergessen.
    «Ich kann kein Deutsch, Konstanty», erwidert Iga.
    «Ich bin kein Deutscher. Ich bin kein Deutscher, verstehst du?»
    Wir steigen in den Adler, der vor dem Adria auf uns wartet.
    Wir schwimmen durch die Stadt, flattern auf Adlerflügeln zwischen Mietshäusern, die ich nicht kenne, zwischen phantastischen Häusern, die den Gesetzen der Physik hohnsprechen, indem sie sich über die Erde erheben, wir fahren durch Pfützen von Blut, die weißen Reifen des Adler lassen das Blut gegen die Autoscheiben spritzen, ich betrachte Warschau durch diese blutigen Tropfen, und Warschau ist schön, mit Zinnober und Rötel gemalt.
    Schokolade. Wir steigen aus. Der Chauffeur will Geld. Ich zahle.
    Wir steigen die Treppe hoch, ich und Iga. Ich lecke die Schokoflüssigkeit von den Wänden, würde sie gern von Iga lecken.
    Die Wohnung. Wir gehen rein. Das Schlafzimmer, Iga zieht mir die Stiefel aus, knöpft mir die Hose auf, schubst mich aufs Bett, zieht mir die Strümpfe aus. Ich würde gern ganz in ihren Körper eintauchen, die Lippen über ihre Lippen schließen oder über ihren Schoß, die Zunge in sie hineinstoßen und sie von innen verschlucken. Ich liege da.
    Was für schöne Schränke wir haben, mit Intarsien aus Birke, dabei überhaupt nicht schwerfällig spießig, sondern im Gegenteil leicht, modernistisch, funktional, ohne das Stickige kleinbürgerlicher Anrichten. Sehr schön.
    Im Liegen versuche ich, sie in der Taille zu umarmen. Sie entschlüpft.
    «Gute Nacht, Konstanty», sagt sie.
    Und mich hörst du nicht, du hörst mich überhaupt nicht, Kostek. Also schweige ich, meinetwegen, ich kann schweigen. Sollen andere in dir sprechen.
    Ist schon bei jeder Bekanntschaft unter Männern höchste Vorsicht geboten, so gilt

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