Morphin
dies umso mehr, wenn eine Frau ins Spiel kommt; keine Bekanntschaft mit einem dubiosen Menschen darf ihren Ruf gefährden. Jede solche Zufallsbekanntschaft, ob Mann oder Frau, wird uns möglicherweise das ganze Leben lang grüßen, uns ansprechen, und wir werden sie nie mehr los.
«Sagen Sie, was ist denn dieser Ruf, den man aufs Spiel setzen kann?»
«Der Ruf ist alles, Konstanty, der Ruf ist der Mensch.»
«Iga»!», schreie ich gegen die vier Wände des leeren Schlafzimmers. «Iga, ich flehe dich an, komm zu mir, ich begehre dich, liebe dich, ich will dich jetzt! Iga!»
«Schlaf, Konstanty», sagt mein Vater auf Polnisch, oder Iga sagt das, oder Pani Bielska.
Rauchen auf der Straße gehört sich nicht für eine Frau.
Sprich, Konstanty. Was soll ich sagen? Wer bist du? Ein kleiner Pole. Blut und Narbe.
Schwarz.
Dann werde ich wach, und es ist schon Morgen, aber noch sehr grau, und dieses Grau ergießt sich durchs Fenster ins Zimmer, läuft über die Wände, sickert mir in die Augen und ins Hirn, bis ich mich füge und wieder einschlafe.
Und wieder werde ich wach, das Grau ist schon heller, und ich erinnere mich plötzlich an die gestrige Nacht. An alles.
Iga. Salomé. Drogen, wieder. Mein Vater.
Guter Gott, an den ich nicht glaube, mein Vater. Mein Vater lebt.
Na und?
Von wegen na und, Konstanty. Am Himmelszelt über dir ist es eng geworden. Deine Mutter in der Uniform der NS -Frauenschaft, deine Mutter, die jetzt wieder die Katherine Willemann ist, als die sie im Hause des Gleiwitzer Kleinbürgers geboren wurde, muss nun ein bisschen Platz machen am hellen Firmament für diesen verkrüppelten, deklassierten Aristokraten, muss für ihn zur Seite rücken, über dir, Kostek.
Ob du sie beide da oben haben willst oder nicht: Sie sind da.
Aber vielleicht könnte ich einfach so tun, als wäre er weg. Will ich so tun, als wäre er nicht da, was hätte ich auch mit ihm zu schaffen? Nichts.
Iga. Wo ist Iga?
Ich stehe auf und zerfalle wie ein gesprungener Krug, also setze ich mich wieder aufs Bett. Ich will Wasser und Aspirin, erhebe mich also wieder, langsam, an die Wand gestützt, wanke ins Bad. Übelkeit, ich erbreche ins Waschbecken. Der Kopf wie in einem Schraubstock, ein dumpfer, gleichmäßiger Schmerz, ich trinke Wasser aus dem Hahn, ekelhaft, rötlich, aber immerhin Wasser, also trinke ich, schlucke die zwei letzten Vorkriegsaspirin, das Röhrchen werfe ich ins Waschbecken, das Glas klirrt auf dem Porzellan, in meinem Kopf das Echo, ein Klirren wie Nadelspitzen.
Jetzt einen Kaffee. Aber es gibt keinen. Warmes Wasser? Gibt es. Also nehme ich eine Dusche, stehe in der Wanne unter brühend heißem Wasser, bis meine Haut brandrot ist, dann kaltes Wasser, so kalt, dass ich schreie.
Dann trete ich, nachlässig im Morgenmantel, in die Küche, dort ist Iga beschäftigt und bereitet aus nichts ein Frühstück. Marmelade, dünner Tee, ein Stück Brot schneidet sie mit dem Messer in zwei.
«Guten Morgen, Kostek», sagt sie, und ich weiß schon.
«Guten Morgen, Iga.»
Ich weiß, ich erinnere mich: Ich hätte sie gestern gern gehabt, begehrte sie gestern und will und begehre sie weiterhin.
Zu schwach bin ich, zu erschöpft, um ganz allein damit fertig zu werden: Hela, Jacek, das alles, unsere gemeinsame gute und schlechte Vergangenheit. Also sage ich unumwunden:
«Ich liebe dich, Iga. Ich begehre dich.»
Sie sieht mich an, überhaupt nicht überrascht.
«Das hast du gestern schon gesagt.»
«Ja.»
«Ich dachte, das wäre wegen des Alkohols und Opiums.»
«Nein.»
Also guckt sie weiter, gar nicht überrascht, guckt, als wollte sie mich mit diesem Blick an die Wand drücken, wollte mich mit diesem Blick zerquetschen.
«Warum tust du das, du Hund?», fragt sie mit schrecklicher Stimme, und ich verstehe.
Du hast endlich verstanden, Kostek, dass sie dich liebt. Dass sie dich immer geliebt hat, sich zwar irgendwie aus diesen Ketten befreien konnte, doch ja, sie liebt dich.
Wir essen schweigend. Viel ist es ja nicht.
«Ich muss zu Jacek zurück», sagt Iga.
Ich nicke, ja, du musst zu Jacek zurück, Jacek braucht dich, du musst Jacek aus seinem schwarzen Loch holen, in dem er ertrinkt, wer außer dir, Iga, könnte es, vielleicht mit meiner ungeschickten Hilfe?
«Dann gehe ich jetzt, Konstanty. Ich muss los.»
Ich stehe auf, um sie zur Tür zu bringen, und als ich bei ihr bin, nah, schaut sie mich an, und ich kenne diesen Blick, erinnere mich an ihn.
Ich umarme sie, in der Taille.
«Nein», sagt
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