Morphin
bestimmt zurück», sage ich, denn irgendwie gefällt mir dieser draufgängerische Jerzyk.
«Nein. Er kommt nicht wieder, es hat mir geträumt.»
Ich nicke.
«Auf Wiedersehen», sage ich.
Das Weibsbild hackt wortlos weiter, ich gehe, ein bisschen benommen von diesem Jerzyk.
Aber warum von Jerzyk, über den ich alles weiß, und nicht von all den anderen, deren Tod du gesehen hast, warum nicht von Hawryluk, der beim Sturm auf Warschau fiel, mit einem kleinen Loch in der Stirn, warum nicht vom dicken, vorlauten Bociąg, der bei einer Bombenexplosion verschwand, warum denkst du nicht an sie? Ihren Tod hast du gesehen, hast Bociągs Reste von deinem französischen Helm gewischt, blutigen Abfall vermischt mit Uniformstoff und grobleinenem Gurt, warum verfolgt sein Tod dich nicht?
Oder diesen Deutschen, von dem du glaubst, du hättest ihn getötet? Hast du aber nicht und hast den Ingenieur deshalb neulich nicht angelogen, als du sagtest, du hättest im Krieg nicht getötet – der rothaarige Kowalczyk hat es getan, ihr habt beide geschossen, du daneben, Kowalczyk war das nicht wichtig, und er hat dir gratuliert, obwohl er wusste, dass er getroffen hatte – Sie haben ihn erwischt, Herr Leutnant! Danach hast du dir diesen Deutschen sogar angeguckt, er war älter als du, graugrüne Jacke, graue Hose, blutige Brust, das von der Kugel zertrümmerte Fernglas darauf.
Doch jetzt gehst du die Marszałkowska entlang und sorgst dich um Jerzyk, der nicht aus dem Krieg heimkehrt, und die Mutter träumt, er sei gefallen.
Ich sorge mich um diesen Jerzyk. Das vergewaltigte Warschau verstimmt mich nicht mehr, ich hab mich dran gewöhnt. Hätte man meine Frau vergewaltigt, würde ihr Bauch von einem Kind anschwellen, das nicht von mir ist, würdest du dich daran gewöhnen?
Wenn du mich nur hören könntest, ich würde dir diese Frage gern beantworten, dummer Kostek. Aber du kannst es nicht … Es ist noch nicht so weit, dass du mich hören kannst, mein Lieber.
Also gehst du weiter, die Marszałkowska, gehst langsam, wie beim Spazieren, neben dir treiben graugrüne Uniformen die Juden zur Arbeit, und sie tun dir nicht mal besonders leid, die Juden nicht und die Antreiber nicht, auch du selbst tätest dir nicht leid, wenn du angetrieben wärst oder selbst antreiben würdest. Die Peies und die schwarzen und roten Bärte beben, bestimmt werden diese Kaftanträger das erste Mal zu einer körperlichen Arbeit herangenommen. Sie reparieren das zerstörte, aufgewühlte Gleisbett, mühen sich mit Brecheisen und Spitzhacke ab. Ungeübt, ungeschickt, muskellos. Du siehst all diese jüdischen Trödler und ihre dünnen Händchen, wie sie jetzt Schubkarre und Schaufel in die Hand gedrückt bekommen, los, die Ruinen aufräumen, in denen du dir noch vor kurzem Schusswechsel mit den Deutschen geliefert hast. Los, die Gleise freimachen, Herr Willemann will bald wieder Straßenbahn fahren.
Das Problem der Überrepräsentanz der Juden. Ist das eine polnische Zeitung? Ach ja, Herr Redakteur, wir vergaßen, dass die Interessen Polens bei Ihnen nicht an erster Stelle stehen, schreibt der alte Peszkowski noch im Juli 1939 an «Prosto zu Mostu», neben Anzeigen für FON -Kollekten und Grammophone, auf dem Titelblatt Mosdorf, daneben Dobraczyński, alles tapfere, wackere Leute, und dennoch, dieser Antisemitismus ist so lästig quengelig. Die Nazis sind besser. Die Nazis heulen nicht rum, dass die Juden ihnen alle Zeitungen weggenommen hätten, die Nazis haben den Juden alle Zeitungen weggenommen.
Aber vielleicht sind sie überhaupt nicht besser, mit ihrem Horst Wessel da, dem angeblichen Opfer, greinen sie auch rum, mit ihrer ganzen Dolchstoßlegende, der Gustloff und all dem. Großer Krieg, große Quengler. Oh, wie unrecht man uns tut!
Und dann stehst du plötzlich vor dem Haus in der Podwale 21 , reine Moderne, Funktionalismus, aber ohne den Luxus wie bei dir, auch ohne Geschmack und Raffinement, der sparsame Posener Nationaldemokrat hat eine bescheidene Wohnung gekauft. Du schaust zu den Fenstern hoch – dort, hinter der Scheibe ist dein Jureczek, den du so gern drücken möchtest, auf die pausbäckigen Wangen küssen, über den blonden Kopf streicheln und ihm sagen, dass Papa ihn lieb hat, Papi wird jetzt seltener zu Besuch kommen, aber er bringt dir Geschenke, bringt dir alles mit.
Alles wird gut, wird gut, mach dir keine Sorgen, kein Grund zur Sorge.
Hauseingang, Treppe, da ist er schon. Das Namenskärtchen im Halter an der Tür.
Weitere Kostenlose Bücher