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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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Aber du findest keinen.
    Und durch sein peinliches Berührtsein, durch seinen Blick voller Mitleid und Verachtung, erst dadurch regt sich Widerstand in dir, Kostek.
    «Auf unsere Angelegenheiten kommen wir später zurück, Frau Willemann. Auf Wiedersehen», sagt er und verbeugt sich vor ihr.
    «Auf Wiedersehen, Herr von Moltke.»
    Da weißt du es. Das Gesicht kennst du von Fotos, aus den Zeitungen, Graf Hans-Adolf von Moltke. Deutscher Botschafter in Warschau, dessen Abzug am zehnten August den Krieg ankündigte.
    Deine Mutter in ihrer deutschen Uniform sieht dich kalt an, die Lippen zu einer schmalen, weißen Linie verkniffen. Dabei könnte sie vor Freude an die Decke springen. Wieder einmal ist es ihr gelungen, dir ihre Beziehungen und ihre Macht vorzuführen, dir, der du ihr einziger Ehrgeiz, ihr einziges Interesse, ihr einziger Lebensinhalt bist. Sie hat dich erniedrigt, und brav hast du diese Erniedrigung hingenommen. Die Kandare zwischen deinen Zähnen sitzt.
    Da sie dich jetzt sicher am Zügel hat, verdienst du auch ein wenig Zärtlichkeit.
    «Weißt du, wer das war?», fragt sie für alle Fälle. Obwohl sie den Namen genannt hat. Als hielte sie dich für einen Deppen, Kostek. Was sie in gewissem Sinne auch tut, ebendeshalb hat sie ja die höchste Karriere für dich vorgesehen und hat damit auch an ihre Karriere und Ehre gedacht.
    «Ja», antwortest du.
    «Was willst du?»
    Was du willst?
    Du wolltest Polizisten in grauen Jacken, mit Gewehren, wolltest sie mit in die Podwale nehmen, mit Getöse in die Wohnung des alten Peszkowski eindringen, «Hände hoch!» brüllen und deinen Sohn mitnehmen. Die Niederlage des hygienischen Eugenikers mit ansehen. Die schwächere Gattung Mensch unterliegt der stärkeren, alles einwandfrei eugenisch und hygienisch. Wumms kriegt Peszkowski eins mit dem Kolben in die nationaldemokratische Fresse, zerschlagen, was sich noch rührt, Lebensraum, Drang nach Osten. Das wolltest du. Das wollte deine Wut. Oder zumindest eine Pistole, um die Tür einzutreten, reinzugehen, mit der Waffe zu fuchteln und Jureczek entführen.
    Aber der Tiger ist weg und der Drache auch.
    Du bist allein, im Angesicht deiner Mutter, keine Spur von Drache oder Tiger mehr in dir, du bist allein. Die Adlerin hat Drache und Tiger verjagt.
    «Sag, Kostek, sag, worum geht es?», zischt sie dir zu, die harte, schmale Zunge zwischen den scharfen, gelben Schnabelrändern.
    «Er hat mich rausgeworfen … die Treppe runter.»
    «Das sehe ich. Wer?»
    «Peszkowski. Der alte Peszkowski. Ich wollte Jureczek besuchen.»
    Sie betrachtet dich voller Verachtung. Sie liebt dich, weil sie dich verachtet. Verachtet, weil sie liebt.
    Sie betrachtet mich liebevoll. Sie betrachtet mich verachtungsvoll. Ich bin ihr Sohn. Ich bin sie.
    Du bist ihr Sohn. Wer bist du?
    Du bist ein Lappen im Wind. Ein Zufallsgebilde von Zellen. Zermahlen von ihrem Blick, bist du halb Mensch, halb Leere, und wenn sie dich ansieht, bist du mehr nicht, als dass du bist. Bist ein Stück Fleisch, zerhackt von ihren Schecks, ihrem Geld, ein Wrack bist du, gelöchert von ihren Blicken, bist mehr nicht, als dass du bist.
    Kreise auf dem Wasser.
    Warum liebt sie dich? Liebt sie mich? Was heißt das, sie liebt? Wie liebt sie? Wenn sie liebt, besitzt sie, und dich besitzt sie, Kostek, besitzt dich, wie sie all die Männer besaß, den jungen Psychiater und deinen Vater, den hat sie verlassen, weil sie ihn nicht mehr brauchte, dich wird sie auch verlassen, wenn sie das will, einen Ersatz wird sie sicher finden.
    Was du nicht wusstest, als dein Vater aus dem Krieg kam, was du nicht verstanden hast und nicht verstehst, aber bald verstehen wirst, ist der Grund, warum sie ihn verjagt hat. Sie hat ihn verjagt, weil nicht nur das Gesicht deines Vaters verkrüppelt war.
    Er hat ihr das nicht gesagt, sie hat es selbst entdeckt. Trotz seiner kraftlosen Proteste, kraftlos wie sein ganzes Selbst, suchte sie ihre Befriedigung bei ihm. Und kraftlos war er, innerlich kraftlos, wie trotz aller äußeren Kraft all ihre Männer waren, und wie du kraftlos bist.
    Obwohl du nicht einmal äußere Kraft besitzt, du bist äußerlich so kraftlos wie innerlich, denn du bist ihr Sohn, nicht ihr Liebhaber.
    Von deinem Vater Baldur wollte sie Befriedigung. Sie ekelte sich nicht vor seinem entstellten Gesicht, ekelte sich nicht vor seinen Tränen, den Bandagen, den zitternden Händen, dem nächtlichen Schluchzen und Geheul. Sie hätte sich davor geekelt, wenn er vom Krieg gebrochen heimgekehrt

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