Morphin
einen Vater habe. Ich würde mich nicht trauen, ihn Jureczek zu zeigen.
Aber ich muss ihn sehen, so bald wie möglich, jetzt gleich. Abrupt stehe ich vom Tisch auf, Jacek springt hoch, er denkt immer, alles dreht sich um ihn und ich wäre seinetwegen so aufgesprungen, aber Jacek kümmert mich jetzt nicht, so wenig wie die in meinem Ehebett schluchzende Iga, ich muss jetzt unbedingt den kleinen Reiter finden. Ich suche im Wohnzimmer, im Schlafzimmer, krieche unter das Bett, Iga steckt den Kopf unter der Decke hervor und sieht mich an wie einen Irren, ich suche in den Schränken, in der Küche, sogar in der Speisekammer und da: Da ist er plötzlich. In der Speisekammer, hinter leeren Dosen. Ich hatte schon früher danach gesucht.
Jureczek hatte ihn noch vor dem Krieg verloren, noch bevor ich einberufen wurde und nach Trembowla fuhr, war der Reiter weg, und es gab großes Geweine, ich musste Jureczek trösten, ihm meinen Säbel zeigen, Papa hat einen besseren als der Reiter, einen echten nämlich, bitte, darfst mal anfassen, und dann das Messing putzen und den Stahl polieren, damit die Abdrücke der kleinen Patscherchen nicht draufbleiben. Jetzt vergammelt dieser Säbel sowieso in feuchten Trümmern, nicht weit von hier, man könnte ihn finden, aber bei Gott, was soll ich mit einem Säbel, was soll ich mit einem Säbel, wenn kein Jureczek mehr da ist, dem ich den Säbel zeigen kann?
Also der Reiter. Igas und Jaceks verständnislose Blicke folgen mir, ich erkläre nichts. Zum Telefon. Die Schwiegereltern anrufen, ich rechne damit, dass Hela abhebt. Aber ihr Telefon funktioniert nicht mehr, gestern hat es noch.
Also gut. Ich ziehe mich hastig, nachlässig an, nehme Geld, Papiere. Werfe den Reiter und das Pferdchen in die Tasche.
«Ich gehe», rufe ich Iga und Jacek zu, die das absolute Unverständnis über mein Verhalten eint.
Weil sie mich immer durch sich selbst lesen wollen, durch die Frage, ob ich mit Iga geschlafen habe oder nicht, durch mein Verhältnis zu Jacek, als wären sie der Mittelpunkt der Welt! In diesem Augenblick hasse ich sie aufrichtig und habe ihren Anblick satt.
«Ich gehe Jureczek besuchen», sage ich.
«Sag mal …», beginnt Jacek.
«Was?»
«Na, hast du … mit den Deutschen? Aber jetzt wirklich? Richtig mit den Deutschen?»
Alles liegt in dieser Frage. Er glaubt mir meine Geschichte nicht, die Anekdote mit Witkowski. Und alles liegt in dieser Frage, alles. Wie er mich vor den Strolchen in Schutz genommen hat, die mich auf dem Gymnasium als Fritzen beschimpften, wie wir uns mit denen prügelten, die es wagten, mir abzusprechen, dass ich Pole bin. Aber auch später: diese erwachsenen, schon reifen Gespräche, seine intelligente Neugier auf meine Wurzeln, er hatte meine Mutter kennengelernt, wir sprachen viel über meinen Vater und überhaupt über die Strachwitz, von denen ich immer erzählte wie von einem mir völlig fremden Geschlecht, fremd in jeder Hinsicht, niemals habe ich mich als ein Strachwitz empfunden, ich trage den Namen meiner Mutter, und das entspricht den Tatsachen: Ich bin ein Willemann. Kein Strachwitz. Und auch das liegt in dieser Frage. Ich frage mich, wer ihm davon erzählt hat, bestimmt Salomé, wer sonst, doch das ist jetzt unwichtig. Na bitte, sollten all jene, die mir das Polnische absprachen, so als wäre dieses Polnische gleichzeitig höchste Ehre und notwendige Bedingung meines Menschseins, und jetzt, sollten all diese Verleumder und Dummköpfe recht haben? Nun bestätigt Willemann auf einmal all die Anschuldigungen, für die ihnen Jacek früher nur einen Vogel gezeigt hat. Mehr noch: Dieser Willemann, den Jacek Rostański für einen Freund hielt, entpuppt sich plötzlich als mieser Schweinehund. Als Opportunist. Sobald es sich lohnt, verrät er seine Wahlheimat, ungeachtet des leuchtenden Beispiels so vieler anderer Polen deutscher Herkunft, die sich von den ersten Septembertagen an durch ihre tapfere, vorbildlich unbeugsame Haltung hervortaten. Und unser Kostek hat sich den Ratten angeschlossen …
Und Jacek fühlt sich damit natürlich persönlich angegriffen. Es geht gar nicht nur darum, ob ich, Kostek, eine Kanaille bin, sondern darum, dass ich ihm Schande gemacht habe, denn er hat mir seine Freundschaft geschenkt, und wie steht er jetzt da, als Freund einer Kanaille?
Soll ich mich also rechtfertigen, vor ihm? Sollte ich mich hinsetzen, ich habe es doch nie eilig, und ihm alles sagen, ihn überzeugen, bis er es glaubt, und ihn selbst in die
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