Morphin
Cremefarbenes Billet. Eine gemeinsame Karte. «Familie Czesław Peszkowski» lautet sie, wie üblich. Und wie anschaulich sie die Unsichtbarkeit deiner Schwiegermutter macht, einer Frau, die nicht da ist, sich nicht einmal im Schatten ihres Mannes versteckt, nichts weiter als sein schweigendes, bescheidenes Zubehör. Wie ein Regenschirm oder ein Hut. Sie ist sehr glücklich in diesem Verschwinden. Dadurch, dass sie nicht da ist, muss sie sich nicht über den Krieg grämen, nicht über deinen Verrat, Kostek, über gar nichts.
Du starrst blöde auf dieses Kärtchen und tastest sogar unwillkürlich nach der Jacketttasche, um zu prüfen, ob du dein Schächtelchen mit Visitenkarten dabeihast, um eine zu hinterlassen, falls die Herrschaften nicht zu Hause sind, und ja, du hast es, doch wem solltest du sie hinterlassen? Man kann eine Ecke abknicken zum Zeichen, dass man persönlich da war, und es unter die Tür schieben. Und Visitenkarten hast du seit der Zeit vor dem Krieg, wann hast du zuletzt eine herausgezogen? Im August. Du benutzt sie nicht und bist im Grunde sicher, mein Lieber, dass du sie nie mehr nutzen wirst. Diese Karten hat der Krieg entwertet.
Du klopfst. Klopfst noch einmal. Und dir wird geöffnet, der Schwiegervater öffnet die Tür und glaubt seinen Augen nicht, aber ja, das bist du, niemand anders als mein Kostek ist zu dir gekommen, du Plage, schon zu Lebzeiten tot, stumpf, dümmlich selbstzufriedene menschliche Bestie.
Es braucht ein paar Sekunden, bis er Worte findet.
«Unverschämtheit!», stößt er schließlich hervor.
Er will dir die Tür vor der Nase zuschlagen, aber du hast schon deinen Schuh im Spalt.
«Ich will Jureczek sehen!»
«Fort, Verräter!», faucht der Schwiegervater.
«Hela», rufst du über ihn hinweg in die Wohnung. «Hela! Ich will nur Jureczek sehen! Ich bin sein Vater!»
Bestimmt hört sie dich.
«Verschwinde, du Schweinehund», brüllt der Posener Schwiegervater. «Jureczek hat keinen Vater! Er hatte einen, jetzt hat er keinen mehr!»
Er versucht, deinen Fuß aus dem Türspalt zu treten, was dich wütend macht, und du wirst leicht wütend, drückst deshalb mit der Schulter gegen die Tür, die Kette reißt und sie steht offen.
«Jurek!», schreie ich. «Jureczek!»
«Papa!», antwortet es aus der Tiefe der Wohnung. «Papa! Hier bin ich!»
Jureczeks Stimme detoniert in meinem Bauch, in der Brust, eine Granate.
Der Schwiegervater steht im Flur. Hätte er eine Waffe, er hätte mich schon erschossen, das sehe ich seinem Blick an.
«Keinen Schritt weiter», zischt der Schwiegervater. «Ich bring dich um!»
«Ich will meinen Sohn sehen», fordere ich dümmlich.
«Mama lässt mich nicht zu dir, Papa!», ruft Jureczek durch eine Tür.
«Hela!», schreie ich.
Und der Schwiegervater steht vor mir, aufgeplustert, ein tollwütiger Hund, die nationaldemokratische Posener Fresse zu einer schrecklichen Grimasse verzerrt.
Verrecke doch, du alter Bock, ich will durch! Versuche an ihm vorbeizukommen, da verpasst er mir plötzlich einen linken Haken und trifft genau den Unterkiefer.
Trifft zudem so gut, dass dir sofort schwarz vor Augen wird, Kostek, und du das Bewusstsein verlierst. Mit einem Wort, ein professioneller Knock-out.
Hela kommt aus dem Zimmer und schreit ihren Vater an, er solle dich retten, schreit sinnlos, der alte Peszkowski hat plötzlich an Statur gewonnen, Statur als Mann, trotz der sechzig Jahre auf seinem Buckel, plötzlich fährt eine Kraft in ihn, wie sie schon lange nicht mehr in ihm war und auch nie mehr in ihm sein wird, er packt dich, den Bewusstlosen, am Kragen, und auf deinem geliebten Unterkiefer, Kostek, schwillt ein großer Bluterguss und überdeckt die graugelben Spuren von vor acht Tagen.
Und der alte Peszkowski zieht dich, und in diesem Gezogenwerden kommst du wieder zu ihr, bleibst benommen, wirst aber wach genug, um dir nicht alle Knochen zu brechen, als der alte Peszkowski dich schlicht und einfach die Treppe runterschmeißt.
Die polterst du hinunter, armer Kerl, hörst Jureczek heulen und Hela schreien, Hela läuft dir hinterher, weinend.
«Kostek, mein Lieber … ist dir auch nichts passiert?»
«Weg!», knurre ich und spucke Blut. «Ich bringe ihn um!»
«Du musst das verstehen, Lieber», flüstert sie durch die Tränen. «Versteh doch, ich kann ihm nicht die Wahrheit sagen, Papa kann kein Geheimnis bewahren, versteh …»
Ich stoße sie weg. Reißender Schmerz pulsiert im Kiefer, durch den Körper schießt Adrenalin und
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