Morphin
Verfassung sein, dich zu töten», sagt er, ohne mich anzusehen, ohne die Stirn aus den gefalteten Händen zu lösen.
«Ich mache dir einen Tee», antworte ich.
Und irgendwo tief in dir, Kostek, leuchtet wieder dieser kleine rote Punkt, dieser winzige Punkt auf.
Auf der Anrichte in der Küche steht Jureczeks Pferdchen.
Und dieses Holzpferdchen füllt plötzlich alles in mir aus. Ein Pferdchen, das früher noch einen hölzernen kaukasischen Reiter mit Schwert trug, das Geschenk eines georgischen Offiziers, Freund des Hauses meiner Schwiegereltern. Oder eher: Ex-Schwiegereltern, in ihrer Vorstellung zumindest.
Der letzte Heiligabend bei ihnen, und dieser Offizier mit einem Namen, der auf -adse endete, ich weiß nicht mehr, wie er anfing, mit schwarzem Schnurrbart und überhaupt einer gewissen Ähnlichkeit mit Ksyk, wenn Ksyk nur eine Spur romantischen Schwung gehabt hätte. Jureczeks Entzücken über dieses Pferdchen, als er es aus buntem Papier wickelte, und die Erzählungen dieses Offiziers in anfangs drolligem, russischem Polnisch, über Georgien und seine kriegerischen Traditionen. Dann wechselten alle ins Deutsche, das war bequemer, der Offizier hatte vor dem Ersten Weltkrieg in Göttingen studiert, deshalb erzählte er jetzt deutsch von Säbel- und Pferdebruderschaften, in etwas überzogener Manier auch von Kämpfen mit Russland, aber wunderbar überzogen, ein schöner Mensch, hol ihn der Teufel.
Er umwarb Hela, ich hatte dafür nur ein Schulterzucken, der Schwiegervater warf mir vielsagende Blicke zu, zur Hölle mit dem Schwiegervater, ich versuchte nicht einmal, die Bedeutung dieser Blicke zu entschlüsseln: Ob er mir vorhielt, dass seine Tochter auch so einen Prachtkerl hätte haben können, oder ob er mich warnen wollte, ich sollte den unverschämten Kerl in die Schranken weisen? Oder vielleicht wollte er gern, dass ich mich mit diesem verfluchten schönen Georgier um sein Töchterchen duelliere? Da kann er lange warten.
Das Pferdchen. Der Sattel grün bemalt, die Vorder- und Hinterbeine aus kräftigen Sockeln wachsend, dümmlich grinsend das Maul. «Eto dla synotschka kavaleristy polskogo od kavaleristy gruzinskogo – eto dschigit. Für das Söhnchen des polnischen Kavalleristen vom georgischen Kavalleristen! Aus Sakartwelo! Und jetzt, meine Herrschaften, zum Wohl, auf unsere Art: gau-mar-dschos! Ex und hopp!»
Hinter diesem Pferdchen verschwinden Jacek, Iga und ihre Probleme.
Würdest du gern das weitere Schicksal dieses insgeheim traurigen Georgiers erfahren? Der sehr an seinen erotischen Vorlieben litt, vor deren Befriedigung er sich fürchtete und diese Angst durch die reihenweise Verführung verheirateter Frauen zu ersticken versuchte, die ihm weder Ruhe noch Vergessen verschafften, nichts außer Renommee und den Hochrufen der Regimentskameraden und einer Reihe von Duellen? Wenn du wolltest, könnte ich dir davon erzählen, aber was bedeutet dir dieser Georgier, Kostek, der zwar in Tiflis geboren, aber in Petersburg aufgewachsen, also gründlich russifiziert war. Das Georgische an sich zu entdecken war für ihn nicht minder verblüffend als für den preußischen Adligen Adalbert von Winkler die Idee, sich selbst als Wojciech Kętrzyński neu zu erfinden.
Ein Niemand ist er für dich. Ein Gesicht, drolliges Polnisch, mehr nicht. Also was kümmert mich sein Schicksal? Nur du kümmerst mich, Kostek. Aber doch nicht nur.
Vier Tage lang habe ich Jureczek nicht gesehen. Das ist nicht lange. Aber plötzlich, seit mir das georgische Pferdchen ins Auge fiel, fehlt er mir, schmerzt wie eine Wunde, wie ein Kind, das ich nie gesehen habe. Als hätte ich gerade erst die Anfangsetappe einer entbehrungsreichen Weltreise hinter mir und sollte den Sohn erst in einem Jahr oder noch später wiedersehen. Ist das Sehnsucht? Ich weiß nicht. Bisweilen hatte ich Sehnsucht nach ihm, wenn ich früher wochenlang wegfuhr, ich schmachtete nach diesen kleinen Händchen, den Pausbäckchen und hellen Locken, schmachtete im Laufe der einsamen Nachmittage, wenn die Gesellschaft sich auf ihre Zimmer zurückgezogen hatte, um ein wenig auszuruhen vor dem Abendball oder einer anderen Attraktion, wenn ich auf der Biedermeier-Ottomane saß, ein bisschen Sehnsucht nach Hela und Jureczek verspürte und sie manchmal sogar anrief.
Aber das jetzt, das ist keine Sehnsucht. Das ist Entsetzen, Angst um mein Kind, um dieses kleine Ich, mein Blut, das seinen Vater verlieren könnte.
So wie ich meinen Vater verloren habe. Obwohl ich
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