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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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Organisation holen, ihn am Frack packen und zum Erlöserplatz führen, zur Łubieńska, ihn mit dem Ingenieur bekannt machen, ihn in die Arbeit hineinziehen? Er würde mich dafür lieben, es würde ihm helfen, die Melancholie abzuwerfen, vielleicht würde er sich dann nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, ob ich mit seiner Iga geschlafen habe oder nicht, denn Jacek muss sich ganz einfach nur gebraucht fühlen, notwendig, und dann könnte er, nun, nicht mir verzeihen vielleicht, aber doch alles vergessen.
    Aber ich tue es nicht. Denn er musste es wissen. Wenn seine Freundschaft – unsere Freundschaft aufrichtig war, dann konnte er keine Zweifel haben, musste sofort erkennen, dass ich nie so handeln könnte. Er musste wissen, was für ein Schweinehund ich sein kann – ich habe ihm doch all meine Abenteuer mit den Weibern anvertraut –, welche Art Schweinehund ich aber niemals sein könnte. Er sollte eher fragen: Was hat das für einen Zweck, dass du dich als Deutschen ausgibst? Er musste mir glauben, an Witkowski musste er glauben.
    Aber er tut es nicht. Also gut.
    «Raus mit euch beiden», sage ich eisig. «Wenn ich zurück bin, will ich euch hier nicht mehr sehen.»
    Ich gehe, knalle meine eigene Tür zu, gehe runter zur Madalińskiego und weiter in die Puławska. Ich würde gern zu Lardelli auf einen Kaffee gehen, um den Kater endgültig zu erledigen, aber ich habe Angst vor den Blicken dort. Mieses Wetter, wenigstens kein Regen. Letztes Jahr um diese Zeit war noch Altweibersommer, warm wie im Juni.
    Nach Podwale, wo mein Schwiegervater wohnt, laufe ich zu Fuß, will zur Ruhe kommen, die Gedanken sammeln. Unterwegs sehe ich in der Chmielna zwischen zerstörten Mietshäusern ein scheußlich gemaltes Schildchen, «Speisehaus im Hinterhof». Ich trete in den Durchgang, da ist es. Hier kennt mich bestimmt keiner. Eine Theke, dahinter hackt eine grobgeschnitzte Olle Zwiebeln. Im Lokal riecht es nach ordinärer Suppe. Nach oller Suppe. Die will ich nicht.
    «Haben Sie Kaffee?»
    «Nee», antwortet die Olle.
    «Ich habe Dollar.»
    Sie lacht mich belustigt an.
    «Na, für Dollar ist was anderes.»
    Ich zahle einen Wucherpreis und bekomme Kaffee im Blechbecher, an dem hier und da die Emaille abspringt. Der Kaffee ist erstaunlich schmackhaft, auch wenn ein ungreifbarer Geruch von Zwiebeln und Kohl von den Händen der Frau auf das Gebräu oder mindestens auf den Becher übergegangen ist. Ich setze mich an einen schmutzigen Tisch, der Stuhl wackelt, die Platte klebt. Ich trinke.
    «Starzyński und dieser Deutsche bei ihm geben bekannt, man soll zum Winter aus Warschau wegziehen, wenn man Verwandte oder Bekannte auf dem Land hat», sagt die Frau, während sie Gemüse hackt.
    Ich zucke mit den Schultern, das reicht ihr.
    «Sollen sie doch selbst wegziehen, die beiden Schlauberger. Ich seh schon, was die Onkel und Tanten sich freuen, wenn bei denen die armen Schlucker aus Warschau zum Winterurlaub einfallen», redet sie weiter, nicht zu mir, nicht zu sich selbst.
    Ich antworte nicht.
    «Und Kohle kostet zehn Złoty der Zentner. Wer kann sich das leisten, mein Herr?»
    «Die Deutschen», antworte ich zu meiner eigenen Verwunderung.
    «Genau. Aber im Großmarkt soll es sie für zwei vierzig geben.
    «Das ist gut», sage ich geduldig.
    «Aber nur einen Zentner pro Wohnung. Sehen Sie?»
    Ich nicke fügsam, trinke aus und bewege mich zur Tür. Als ich schon rauswill, lässt das Weibsbild plötzlich ihre Zwiebeln sein und fragt:
    «Waren Sie im Krieg?»
    Ich zucke mit den Schultern.
    «Na sagen Sie schon! Waren Sie oder nicht?»
    «Doch.»
    «Offizier?»
    «Reserve.»
    Sie schweigt einen Augenblick, schaut mich an, als wollte sie mich bei einer Lüge ertappen.
    «Und, Herr Offizier, warum haben wir diesen Krieg verloren?»
    «Weiß nicht.»
    «Mein Jerzyk ist noch nicht zurück. War bei den Ulanen.»
    «Welches Regiment?», frage ich, um einen Anschein von Mitgefühl zu zeigen. Von Hilfsbereitschaft.
    «Weiß ich doch nicht, welches Regiment. Ulan. In Uniform sah er wunderschön aus, ein Bild von einem Ulanen.»
    «Ihr Mann?»
    «Mein Söhnchen, mein einziges. Sein Vater lebt nicht mehr, ist mir weggestorben, hat gesoffen wie ein Hund. Und der Junge ist neunzehn, schön, kräftig, dem haben sie nachgeschaut, o ja! Will mir gar nicht denken, wie viele von diesen Fräuleins er schon verdorben hat, der Draufgänger. Diese Schlampen.»
    Ich nicke bewundernd, die Frau nimmt meine Anerkennung entgegen.
    «Schlampen. Und er kommt

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