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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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sagen: Mistkerle! Ich bin ein genauso guter Deutscher wie ihr, ein noch besserer sogar! Mein Vater ist Graf, Ritter, Kriegsheld, und wer sind eure Väter, ihr Arschlöcher?
    Löcher im Arsch.
    Ich muss nach Hause, mich waschen, irgendwie zurechtmachen.
    Ich gehe, den Blick stier in den Boden, gehe durch eine Galerie von schmutzigen Schuhen. Weil Krieg ist, sind die meisten ungeputzt. Krieg, selbst wenn er zu Ende ist, entbindet vom Schuheputzen. Braune Oxfords unter grauer Hose wandern raschen Schrittes an mir vorbei. Danach Schnürschuhe wie bei einem Dienstmädchen, darüber eine dicke, ärmliche Strumpfhose mit breiter Laufmasche. Dann Fliegerstiefel, sehr dreckig, abgetreten und serienmäßig, nicht vom Schuster. Dann Wanderschuhe, Skistiefel, da will jemand bestimmt stolz ins Ausland, für Polen kämpfen, darüber eine karierte Socke und Pumphosen, höher gucke ich nicht, da plötzlich fällt ein Speichelklatsch von oben, mir vor die Füße, bestimmt hat jemand mich erkannt und mutig angespien, aber ich hebe den Blick nicht, auch wenn das Karo der Socken und die Farbe der Pumphose mir eine Reihe von Namen nahelegt, daran will ich jetzt nicht denken; dann wieder ein billiges Oxford-Modell, dann formlose Herrenhalbschuhe, ausgelatscht und rissig, Klümpchen an den Senkeln, Knötchen, diese Schuhe werden den Winter nicht überstehen, da kann man sie noch so dick besohlen, weiter ganz entzückende Damenpumps, wenn auch bespritzt, die Fesseln darüber nicht ohne, doch ich hebe den Blick nicht weiter als bis zu den Knien unterm Rock, denn ich bin nicht in Stimmung, weiter, Schuhe, Schuhe, Fahrradreifen, Pferdehufe, Autoreifen, das Muster des aufgerissenen, lückenhaften Straßenpflasters, die durchtrennten Linien der Straßenbahngleise und Schuhe, Schuhe, Schuhe, ich hebe den Blick nicht, Straßen und Plätze und wieder Straßen, wie spät, die Beine tun weh, ich schau nicht nach oben, navigiere instinktiv durch die Stadt, verlaufe mich nicht, dann am Ende meine Ecke, Puławska, Madalińskiego, das Treppenhaus aus Schokolade, es klingelt, die Treppe, es klingelt, die Tür, es klingelt, die Wohnung, ich schließe die Tür hinter mir, es klingelt und klingelt.
    «Jacek?», frage ich ins Grau der Wohnung. «Iga?»
    Stille. Es klingelt nicht mehr. Sie sind weg. Es klingelt erneut. Natürlich sind sie weg, worauf hätten sie denn warten sollen? Es klingelt.
    Ich setze mich an den Küchentisch. Was ist das da in meiner Tasche?
    Jureczeks Pferdchen. Und der kleine Reiter. Ich habe sie ihm nicht gegeben, da war keine Gelegenheit.
    Ich stelle das Pferdchen auf den Tisch. Setze den Reiter in den Sattel. Es klingelt. Reite, kleiner Kaukasier, führe dein Pferdchen, vom Tisch hopp auf den Stuhl, vom Stuhl hopp auf den Boden, die Treppe hinunter, auf die Straße und weiter, sternenübersäte Plätze, die Marszałkowska unter hölzernen Hufen, bis du am Ende die Podwale erreichst und zu meinem Jureczek kommst, da wird sich der Kleine aber freuen.
    Warum habe ich ihm das Pferdchen nicht gegeben?
    «Hallo!», brülle ich in den Hörer.
    Wann ich abgehoben habe, ich weiß nicht, kann mich nicht erinnern, ich saß am Küchentisch und gröle jetzt plötzlich in den Hörer.
    «Siebenundfünfzig?», fragt der Ingenieur.
    «Sechs …», korrigiere ich unwillkürlich.
    «Ja, ja. Komm morgen in die Wohnung am Erlöserplatz. Früh. Vier Uhr dreißig.»
    Schluss. Es klingelt nicht mehr. Du hast gehorsam den Wecker gestellt, denn in diesem Gehorsam suchst du Trost, Würde und Menschlichkeit, aber Menschlichkeit gibt es nicht.
    In den Kleidern, in Schuhen, das Pferdchen in der einen und den Reiter in der anderen Hand, legst du dich schlafen. Mein armer, mein lieber, mein lächerlicher, jämmerlicher kleiner Konstanty.

Kapitel neun
    E s klingelt. Der Wecker. Dunkel. Was?
    Zum Erlöserplatz. Zum Ingenieur.
    Aus dem Bett. Das Bad. Licht? Funktioniert. Wasser? Läuft. Warmes? Ja. Rasieren: Heißes Wasser, Öl, Schaum, Klinge, Schaum, Klinge, kaltes Wasser danach, Alaun auf den Schnitt unter der Nase, ekliger Schnitt unter der Nase. Morgentoilette komplett. Zahnpulver? Ist da. Bürste. Brillantine? Nein. Bürste. Haare glätten. Im Spiegel – Hass.
    Die Küche. Essen – keines da. Uhr? Schon Zeit.
    Anziehen. Mantel.
    Nicht denken. Tür abschließen. Treppe. Runter.
    Draußen Polizeistunde. Tageslicht – fehlt.
    Zu Fuß. Straßen und Plätze. Laternen – keine.
    Und bevor du die Wohnung der Łubieńska erreichst, kneifst du krampfhaft die

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