Morphin
Peszkowski ist pure Verachtung und purer Hass, wie Vorder- und Rückseite einer Münze, er zeigt mir beide Gesichter, Abscheu und Abneigung.
Und Freude, bestimmt auch Freude, ja, denn er sieht doch die Spuren seiner Fäuste auf meinem Gesicht, nein, auf meiner Fresse sieht er sie. Er selbst im kragenlosen Hemd, doch makellos und hochgeknöpft bis zum Hals, das Gesicht rasiert, die Hosenträger straff, die Hosen aus gutem Kammgarn, gebügelt, Krieg hin, Krieg her. Ich dagegen schmutzig, zerschlissen, geprügelt und armselig, gemein, ein würdeloser Nichtmensch.
Wir stehen im Flur: Er, ich, der ältere Gendarm, der jüngere Gendarm und alle in der Schwebe, was tun, was tun? Das müsste ich wissen, und ich würde am liebsten abhauen, raus auf die Podwale und zum nächsten von einer Bombe ins Straßenpflaster gebissenen Loch, reinspringen und graben, solange die Erde noch nicht gefroren ist, mich reingraben, reinfressen in die Erde wie ein Wurm, mit Erde mich zudecken wie ein Regenwurm, ein Maulwurf, wie eine Made mich durch nur der Archäologie bekannte Schichten wühlen, tiefer als Polen, noch unter die Slawen, unter die Goten, unter die Kelten, unter die asiatischen Völker, die vor uns hier waren und Feuer aus dem Stein schlugen.
Du würdest dich gern dort verstecken, wohin nicht einmal die Erinnerung an den Menschen reicht, würdest gern vormenschlich werden und unmenschlich und menschenübersteigend, Kostek, und stehst doch im Flur einer Wohnung in der Podwale, da stehen die Gendarmen und steht Peszkowski voller Hass und Verachtung, und die Küchentür geht auf, und Hela kommt heraus.
Hela.
Hela Willemann de domo Peszkowska, deine Frau. Tochter des alten Peszkowski, der dich schon immer gehasst hat, Kostek, jetzt endlich hast du ihm einen Grund dafür gegeben.
Hela. Die Mutter deines Sohnes.
Sie steht in der Tür, hält dein Kind auf dem Arm, und du stehst im Flur, bewaffnet mit zwei Gendarmen, ihren Gewehren, Helmen, Gurten und Patronentaschen. Schultergurten. Die Bajonette schlafen in den Scheiden. Ich könnte sie wecken.
Jureczek auf ihrem Arm. Helle Locken. Und das Gesichtchen, das sich langsam zur großen Wunde eines Schreis verzerrt, einer Wunde in deinem Bauch und in deinem Kopf.
«Kostek?» Hela kann die Gendarmen nicht glauben, sie glaubt nicht, dass du mit zwei uniformierten Deutschen in die Wohnung ihres Vaters gekommen bist.
Und du möchtest, dass sie weiß, dass sie versteht, dass du ja nicht wirklich mit ihnen hier bist, sondern nur zum Schein, du bist kein Deutscher, bist Spion einer Organisation, bist Untergrundkämpfer, bist ein polnischer Soldat in Lauerstellung.
Aber weiß sie das? Sie weiß das doch. Du hast es ihr gesagt, und sie war zu diesem Opfer bereit. Die Frau eines Abtrünnigen zu sein. Jureczek wächst ohne Vater auf. Ich habe keinen Mann mehr, sagt Hela allen, mein Mann ist gestorben, ich werde für alle Ewigkeit Witwe bleiben, und sie weiß dabei, dass sich nach dem Sieg alles klären, alles gesagt werden wird, die Wahrheit kommt heraus, und alle werden wissen: ein Held, kein Abtrünniger. Ein Held, der mehr zu opfern bereit war als das eigene Leben, der seinen guten Namen geopfert hat. In Vorträgen wird er, Konstanty Willemann, Leutnant Konstanty Willemann, Hauptmann, Oberst Konstanty Willemann erzählen, wie er es diese ein oder zwei Jahre auf sich genommen hat, als Verräter und Abnegat zu gelten, für den Sieg Polens, und sie wird in der ersten Reihe sitzen und Beifall klatschen, und da werden andere Frauen mit feuchten Augen sitzen und schon überlegen, wie sie dieser Lichtgestalt Hela so einen famosen Helden abluchsen könnten. Sie werden ihm Briefchen zustecken, die er, der Held, nicht einmal lesen wird, mit Hela wird er im glänzenden Buick zum Bankett fahren, ins Adria zum Beispiel, zum Bankett zu seinen Ehren, und dort werden der Herr Staatspräsident und seine Frau sein. Und ihn zum Minister ernennen. Minister Konstanty Willemann, in Anerkennung seiner militärischen Verdienste, seiner außerordentlichen Tapferkeit und seines Mutes, erster Sohn des Vaterlandes. Erster?
Sie weiß das doch, sie muss es wissen. Und sie wird, sie muss verstehen, warum ich mit den Deutschen hergekommen bin, ich konnte nicht anders, aus Gründen der Glaubwürdigkeit, und später, meine Damen und Herren, ich erinnere mich an diesen schrecklichen Augenblick, als er mit zwei deutschen Soldaten in unsere Wohnung kam, mein Vater wusste von nichts, ich hatte Angst, er könnte einen Anfall
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