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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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gräbst wie ein Wurm, ein Maulwurf, wenn der schwarze Nebel der Scham deine Augen überschattet und du brüllen wirst, röcheln wie das Kudu in den Kiefern des Löwen, wenn der weiße Nebel des Entsetzens über deine Augen steigt und du den Mund weit aufreißt, die Augen ganz öffnest, und vielleicht bist du gerade dann ein Mensch, Konstanty, wenn du wie ein Rüde zu deiner Salomé läufst, wenn du stehst und nichts anderes zählt und alles, was du willst, ihre Scham ist, als gäbe es die Welt nicht, und ihr Mund, als gäbe es die Welt nicht. Ich habe weder Drüsen noch Hirn, weder Körper noch Seele, mich gibt es nicht, deshalb weiß ich, Konstanty, ich weiß, dass du dann ganz Mensch bist, du hast dem dicken Tumanowicz das Auge herausgenommen, weil du nicht anders konntest, es musste das Auge sein und musste eines Menschen tierisches Gebrüll sein, denn darin seid ihr wahrhaftig ihr, Konstanty, du und deinesgleichen, in euren Körpern.
    Der jüngere Gendarm hält mich auf, seine kräftigen deutschen Arme umfassen mich gleichsam zärtlich, der jüngere Gendarm schreit, hinter der Tür heult Jureczek.
    «Mama, Mama, Mama, Mama!», schreit er entsetzt.
    Der ältere Gendarm ist ganz Verachtung. Mich verachtet er. Nicht Peszkowski, nicht die Frau, die er geschlagen hat, sondern mich.
    Weißt du auch, was jetzt kommt, Kostek?
    Du weißt es.
    «Raus hier, raus, ihr Schweine!», ruft Hela im Aufstehen.
    «Raus!», bestätigst du.
    Also nicken auch die Gendarmen, ja, raus, wir gehen, warum nicht, natürlich hat das Ganze überhaupt keinen Sinn, wir sind gekommen, haben Radau gemacht und raus, aber hat diese Welt aus Befehlen und Pflichten irgendeinen Sinn? Normalerweise nicht, also gehen wir, jawohl, das Gewehr verächtlich über die Schulter geworfen und weg. Ich gehe auch.
    Schon unten auf der Podwale entlasse ich sie. Sie ziehen davon und verachten dich zutiefst, und diese Verachtung wird Kreise ziehen, sie werden erzählen, was passiert ist, irgendeinem Offizier oder Feldwebel, er wird das weitertratschen, und die in ihrem Lächeln und Blick enthaltene Verachtung wird Mensch um Mensch anstecken wie eine Mikrobe, jeder Berichterstatter wird die Lippen genau so verächtlich aufblasen und diesen Blick nachmachen, bis es schließlich zu deiner Mutter kommt, Kostek, der Adlerin, und von ihr zurück zu dir. Vervielfacht, exponentiell wachsend mit jedem Überträger, kehrt die Verachtung der Gendarmen groß wie ein deutscher Panzer zu dir zurück, und hat doch klein begonnen wie das Bajonett an der Hüfte des Gendarmen. Und was kannst du tun, nichts kannst du tun, du hättest ihre Verachtung im Keim ersticken müssen, müsstest die beiden jetzt umbringen, aber du hast nicht mal eine Waffe.
    Da stehe ich allein.
    Guter Herrgott schwarzer Gott, was wird aus mir?
    Du weißt, was wird.
    Sie werden dich töten. Erschießen, die Saat dieses Mordes ist schon gelegt, jemand gießt sie gerade, sie keimt und wird aufblühen zu einer giftigen Schlingpflanze, die dich schließlich erreicht und umbringt.
    Doch denk nicht daran, mein Lieber, du denkst zu viel, lebe einfach, lebe gedankenlos.
    Ich gehe. Sehe die Stadt nicht. Sehe Menschen, oder eher ihre Schatten, Polen, Juden, Deutsche, vor allem solche, die alles sein könnten. Manchmal erkennt man auf den ersten Blick, das ist ein Deutscher, das ein Pole, das ein Jude. Aber dieser Herr im braunen Anzug, im hellen Staubmantel und ansehnlichen Hut, ist das ein Pole, den der gesellschaftliche Niedergang noch nicht gezeichnet hat, oder doch ein vermögender Deutscher, Beamter, Geschäftsmann oder Geheimpolizist, ist das vielleicht ein assimilierter Jude oder ein Weißrusse, womöglich ein bolschewistischer Agent, ein Ungar, ein Finne?
    Schließlich ist man auch in deutscher Uniform nicht zwangsläufig ein Deutscher. Nicht zwangsläufig, Kostek, keine Aufregung, geh weiter, bis zur Polizeistunde ist es noch eine Weile hin, außerdem hast du deutsche Papiere, niemand wird dir etwas tun. Geh.
    Straßenpflaster, aufgerissen, Schlamm, Einschlagstrichter, schon zugeschüttete Löcher, ein Jude schaufelt den Sand, dass es eine Freude ist, eine improvisierte Rikscha, ein Tramfuhrwerk, ein Stand mit Selbstgedrehten, Bekanntmachung, der Verkauf von Marken- oder selbstgedrehten Zigaretten ist streng verboten, eine deutsche Streife mustert mich verächtlich.
    Und ich weiß nicht, ob ich mich über diese Verachtung freuen soll, weil sie mich als Polen ansehen, oder mich grämen soll. Gern würde ich ihnen

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