Morphin
die so gut wie nicht existiert, und sie ganz so geschaffen, wie er sein Polen geschaffen hat, und Helena Willemann ist Polen in Wirklichkeit, seine Verkörperung, nicht seine Allegorie, Polen ist in ihr gegenwärtig wie Christus in der Eucharistie, obwohl der alte Peszkowski ja nicht an Christus glaubt, er glaubt überhaupt nichts, das ist eine andere Generation, der alte Peszkowski glaubt nur an Polen, denn seine Nationaldemokratie ist ihm die Moderne, ein bisschen in die Jahre gekommen vielleicht, macht nichts, deshalb denkt er viel an seine Jugend und schaut, schaut die Spur der Gendarmenhand auf dem Gesicht seiner Polentochter an, und in ihm gedeiht ein kluger Hass.
Schließlich steht Peszkowski auf und greift zum Telefon, doch es funktioniert nicht. Also schaut er auf die Uhr und befindet, es sei Zeit, sagt Hela, dass er rausgehe. Sie fragt, ob er nicht zuerst einen Arzt brauche, aber der Alte will von einem Arzt nichts wissen, der Körper soll sich seinem eisernen Willen fügen, also kleidet er sich an, knöpft den Kragen ans Hemd, bindet sich die Krawatte, steckt die Nadel an, zieht die Weste über, streift sogar die Armbanduhr vom Handgelenk und versenkt die goldene Zwiebel in der Tasche, ein Erinnerungsstück, für langjährige Mitgliedschaft, zum zwanzigsten Jahrestag, mit bester Hochachtung, Roman Dmowski. Und das Jackett, er zupft an den Aufschlägen, damit sie gut liegen. Und wie ganz anders zieht sich dieser Mischling aus dem Nichts an! Willemann wirft sich demonstrativ in Schale, Peszkowski will angemessen gekleidet sein. Ihm liegt nichts an Eleganz. Fragen der männlichen Schönheit interessieren Peszkowski nicht. Er kümmert sich nicht darum, ob sein Aufzug ästhetisch sei, die Kleidung soll sauber und gebügelt sein, dem Anlass angemessen, soll passen: zur gesellschaftlichen Position und zur jeweiligen Situation, Kleidung ist die Uniform des Zivilisten, deshalb macht Peszkowski jetzt die Knöpfe der Ziviluniform zu, zieht den Mantel über und geht hinaus in die Stadt Warschau, die er nie lieben gelernt hat, denn sie ist für ihn die steingewordene Verkörperung all dessen, was er an Polen hasst. Peszkowski liebt Polen mit der Liebe des Herrn Dmowski – also hasst er das Polen, das existiert, liebt nur dasjenige, das sein könnte, wenn Menschen wie er es erschaffen, Menschen mit stählernem Willen, den sie durch tausend kleine Übungen und Entsagungen trainieren, frühes Aufstehen, kalte Duschen, diätische Mahlzeiten, keine Gefühle zeigen, schweigen, wenn man sprechen will, Erniedrigungen stumm ertragen (aber nie vergessen), sein Herz nicht den Frauen schenken, am besten überhaupt kein Herz haben. Die Parteikameraden verachtet er auch, sie versuchen ja nicht einmal, so zu sein.
Und von Warschau hat Peszkowski keine bessere Meinung. Er sieht schon die Anfänge dessen, zu was diese Stadt in den kommenden vier Jahren werden wird, bevor sie ganz verschwindet. Er sieht, wie sie mit den Deutschen zusammenliegen und sich gleichzeitig im Kampf verbrennen wird, und er weiß, denn Peszkowski denkt voraus, dass das jetzt nun mal so werden wird, unnötige Hurerei und überflüssiges Heldentum, und weiß sogar, das ausgerechnet er, der Posener Nationaldemokrat und Hygieniker, bald zum unabdingbaren, immanenten Bestandteil dieser Absurdität werden wird.
Und als er durch die Stadt geht, kommt ihr ziemlich nah aneinander vorbei, denn du gehst die Puławska zum Erlöserplatz, während er mit dem Wagen fährt, die Hände auf den Knien, mit Arbeitern vom Norden nach Süden fährt er, nur näher an der Weichsel.
Schließlich erreicht er die Wohnung, zu der er wollte, läutet an der Tür, und ihm wird geöffnet, er wird hineingebeten, mit Tee bewirtet und in einen Sessel an dem runden Tisch gesetzt, der mit Spitzentüchern geschmückt ist. Er wird nach dem Zweck seines Besuches gefragt, und der da fragt, weiß genau, dass der alte Peszkowski nicht ohne triftigen Grund gekommen wäre, deshalb hört er aufmerksam zu. Sie kennen sich seit langem, schon seit dem Bolschewiken-Krieg.
Und wer hört zu?
Der, der Grund zum Zuhören hat, Kostek, und wenn du es wüsstest, würdest du erzittern.
Es hört einer zu, der einen großen Namen hat, du kennst diesen Namen, kürzlich hat er sich zu diesem Namen eine Reihe von Pseudonymen zugelegt und außer den Pseudonymen noch eine Funktion in der Organisation, die sich einstweilen Dienst für den Sieg Polens nennt, aber schon bald verschwinden wird, in drei Wochen, nach Paris
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