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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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fahren und verschwinden, denn der böse Führer erfuhr eher von ihr als der gute Führer mit dem Vogelnamen, sie wird also in Paris aufgelöst, und an ihre Stelle tritt eine Organisation mit dem bedrohlicheren Namen «Verband des bewaffneten Kampfes», die von ihren Gegnern noch nicht enttarnt ist. Der Dynamik der Ereignisse ist das gleichgültig. Namen und Stellungen sind ihr egal, sie interessiert nur die Kette der unausgesprochenen Schuldigkeiten, und niemand fällt eine Entscheidung, die Entscheidung fällt sich selbst, schon lange bevor jemand, der dazu befugt ist, dieser Entscheidung durch die Unterschrift auf irgendeinem Papier formalen Ausdruck verleiht.
    Der alte Peszkowski also spricht. Er sät. Der, der zuhört, traut Peszkowski. Traut ihm seit zwanzig Jahren. Und Peszkowski spricht.
    Da ist so ein Mensch, Konstanty Willemann – also du, Kostek. Der ist ein Halbdeutscher, vielleicht auch ein ganz Deutscher, wer weiß, als was man seine Mutter zählen soll, die jedenfalls besser Deutsch spricht als Polnisch. Dieser Mensch also hatte meiner Tochter den Kopf verdreht und ließ sich dann nur mit Mühe zur Heirat zwingen.
    Der, der erzählt, weiß so gut wie sein Zuhörer, dass das nicht wahr ist, niemand hat hier irgendwem den Kopf verdreht, doch verlangt die Logik des Erzählens nach solchen kleinen Lügen, damit die Geschichte als Keim jener Dynamik, die ich meine, wahr sei. Deshalb macht Peszkowski sein Samenkorn etwas rundlicher, fruchtbarer, durch solche kleinen Lügen.
    Ja, natürlich erwähnt er, dass du den ganzen September hindurch gekämpft hast, er erwähnt das in scheinbar neutralem Ton, was seine Aussage noch verstärkt – ihr nämlich den Anschein der Unvoreingenommenheit verleiht –, gewiss doch, gekämpft hat er und nicht wenig, sogar einen Orden bekommen, aber der Ton, das Timbre seiner Stimme zieht das leise in Zweifel, und dieser Zweifel wirkt in so einer Situation besser als jede Negation. Also einen Orden hat er bekommen, aber wie hat er ihn bekommen, wofür, hat man nicht schon manches gehört, wofür manche so einen Orden bekommen? Und dann wird er sagen, dass du noch vor der Kapitulation desertiert bist.
    Manchmal bedürfen solche Geschichten außer den kleinen Lügen und Zweifeln auch riesengroßer Lügen, du würdest sagen, Kostek, des Erstunkenen und Erlogenen. Hauptsache, dieses Erstunkene und Erlogene hat noch in irgendeiner Weise mit dem zu tun, was war. Hast du deine Einheit also tatsächlich vor der Kapitulation verlassen? Ja. Und das reicht, der Rest ist Interpretationssache.
    Und wozu dient das alles? Deine jüngste nationale Transgression bedarf einer sehr konkreten dramaturgischen Einbettung, der Verrat kann nicht plötzlich auftauchen wie der Deus ex machina, das Gewehr muss schon früher an der Wand gehangen haben (auch wenn es erst post factum dort hingehängt wird).
    Peszkowski überlegt sich das alles nicht so genau, er spürt es instinktiv. Er spürt es, denn er steht unter der Gewalt meiner Schwester, sie lenkt ihn, sie weiß, was zu tun ist, damit das in jenem General für den Dienst am Sieg Polens gelegte Samenkorn auch ganz gewiss aufblüht.
    Also spricht er mit der erforderlichen Dramatik und kommt am Ende auf den Punkt. Dass du, Kostek, im Deutschen Klub gesehen worden bist, dass du die Kennkarte erhalten hast. Das ist noch nichts, ein Verbrechen zwar, aber eines, das der General fürs Erste lediglich im Register der strafbaren Vergehen notieren würde.
    Aber nicht um diese Dynamik geht es. Jetzt also fällt aus dem trockenen, hygienischen, geputzten, nicht rauchenden und nicht trinkenden Mund Peszkowskis das, was alles entscheiden wird, die Pointe: Du kommst mit Gendarmen zu ihnen ins Haus, befiehlst den Gendarmen, deine polnische Frau zu malträtieren, siehst lustvoll zu, wie die Gendarmen mit den Kolben deinen polnischen Schwiegervater schlagen, und all das, um den Händen der Mutter das polnische Kind zu entreißen, zu entführen und es deutsch zu machen.
    «Und, haben sie es entrissen?», fragt der General, der nach Peszkowski die Fortsetzung dieser Dynamik bilden wird.
    Entrissen nicht, erzählt Peszkowski, denn die Mutter hat es mit ihrem eigenen Leib beschirmt, an ihrer Brust geborgen. Das ist wichtig, diese Brust, denn die Brust hat nicht nur mütterliche, sondern auch erotische Bedeutung, und eine patriotische Geschichte, die nach Rache schreit, kommt ohne erotisches Element nicht aus. Die Mutter birgt also das Kind an ihrer Brust, fährt

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