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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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bekommen vor Aufregung, aber nicht einmal meinen Vater konnte ich einweihen, das war so schrecklich, meine Damen und Herren, als er mit den deutschen Soldaten in unsere Wohnung in der Podwale kam, aber ich wusste es ja die ganze Zeit, deshalb habe ich die Wogen geglättet.
    «Raus mit dir!», schreit Hela, Jureczek weint.
    Ihr Schrei schubst dich aus dem Flur. Und Jureczeks Weinen. Aber du kämpfst.
    «Ich wollte doch nur Jureczek besuchen …», winselst du leise.
    Sie stellt das Kind in das Zimmer und schließt die Tür vor ihm, hinter sich, und kommt auf dich zu, sie hat keine Angst vor den Gendarmen, aber versteht sie es? In ihren Augen siehst du nur Wut, die Wut der Mutter und die der Polin, sie blinzelt dir nicht zu, flüstert dir nichts ins Ohr, o nein, sie stößt dich mit großer Wucht weg, Hela ist vielleicht sogar kräftiger als du, schließlich wollte Thorak sie modellieren, die mächtigen Arme der Schwimmerin, Muskeln fast wie die eines Mannes, beide Hände stoßen dich wie die Puffer eines Zuges, stoßen gegen deine Brust und du taumelst nach hinten. Und ahnst schon die schrecklichste Konsequenz des Mutes, der deine Hela erfüllt.
    Der ältere Gendarm macht eine Handbewegung. Das ist schließlich seine Pflicht, er ist dein Hund, muss seinen Herren verteidigen, deshalb hängt das Gewehr plötzlich leblos in der linken Hand, und seine rechte vollführt eine Geste, nicht sehr ausladend, aber deutlich genug, eine Geste, als wollte er den Gästen die Wohnung präsentieren, bitte, und hier haben wir den Salon, und der Handrücken trifft deine starke Hela im Gesicht, auf die rechte Wange, schlägt sie, als hätte er sie nur eben gestreift, doch Hela dreht sich wie in einer Pirouette, als hätte jemand mit zwei Riesenfingern ihren Kopf gepackt und ihn gedreht wie Jureczek seinen Kreisel, und der Kopf dreht das Rückgrat, das Rückgrat dreht die Hüften, und in dieser Pirouette, Blutspuren der aufgeschlagenen Lippe in der Luft und an der Wand hinterlassend, stürzt Hela zu Boden.
    In diesem Moment werft ihr euch beide auf den Gendarmen, der Hela geschlagen hat, du und der alte Peszkowski. Der jüngere Gendarm starr, und ich sehe euch zu, euch allen, von oben, ich schwebe über euch, ich.
    Peszkowski ist als Erster bei dem Gendarm, sowie Hela am Boden liegt, kehrt das Gewehr in die rechte Hand zurück, und mit Peszkowski ist der Gendarm nicht so zimperlich wie mit seiner Tochter, Peszkowski bekommt eins mit dem Kolben. Ein kurzer Haken aus der straffgegurteten Hüfte, schräg aufwärts, und der Kolben trifft Peszkowski am Kinn.
    Der eugenische Unterkiefer, verbissen in der gleichen Wutgrimasse, die auch die Posener Augen zukniff, der gleichen, die den Krampf der oberen Jochmuskulatur und des Oberlippenhebermuskels bewirkt und Peszkowskis Zähne entblößt.
    Durch diese zusammengebissenen Zähne wandert die Energie des Hiebes in den Oberkiefer, zertrümmert zwei Backenzähne und zerdrückt einen Goldzahn, geht noch höher und erschüttert das Gehirn, und Peszkowski fällt neben seiner hygienischen Tochter, fällt auf den bordeauxroten Läufer über dem eleganten Eichentäfelchenparkett, fällt bewusstlos, ohne Schuld und Arg, fällt aus elterlicher Liebe, in Erfüllung dessen, wovon er immer geträumt hat, wie das Schicksal es wollte, ist es gekommen, Peszkowski fällt bewusstlos von der Hand eines Deutschen, kein Schlichter mehr nötig, der Streit begraben, weil Peszkowski besiegt, Hela liegt und weint, Konstanty läuft schon zu ihr, auch wenn das, was hier geschehen musste, seinetwegen geschehen ist.
    Und ich schau euch zu und summe meine Ballade, meine Existenz so fade, meine Existenz so banal, so unerkannt und mit eurer nicht verwandt, ich bin über euch und in euch, bin böse, bin wütend, mit Blut auf den unversehrten Lippen, Blut an den Händen, ich bin ohne Schuld und Scham und ohne Liebe und Gnade, ich schaue zu und sehe alles. Ich sehe dein hilfloses Entsetzen, Kostek, und die Muskelkrämpfe in Peszkowskis Gesicht, und ich spüre sein Gehirn deutlicher, als er selbst es spürt, schrecklich zu wissen, dass man ein Gehirn hat, Kostek, schrecklicher noch, als zu wissen, dass man Drüsen hat, die durch einen einzigen Erguss ihrer furchtbaren Gifte dich in ein gehetztes, wütendes Tier verwandeln, dein Menschsein vergiften können, sodass du wie ein Rüde hinter der Hündin herläufst, jemandem wie ein Hund an die Gurgel springst, wenn der rote Nebel der Wut deine Augen überzieht, und dich in die Erde

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