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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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viel gelacht über diese Kaffeehaussozialisten, als es noch richtige Kaffeehäuser und Sozialisten gab. Wir haben sie verspottet, und sie entflammten in heiliger Empörung und hielten uns für Lumpen, für privilegierte Lumpen, die in ihren teuren Schlitten durch die Gegend fahren, unempfindsam für das Leid, das anderen angetan wird, dabei wussten wir alle, solche wie Jacek und ich, dass sie uns zu Recht für Lumpen halten, aber wir wussten auch, dass das so sein muss, die Welt ist so eingerichtet, es muss solche wie uns geben und solche wie sie. Wir und unsere Kinder könnten uns auf jeder Seite dieser Mauer wiederfinden, aber die Mauer zwischen Herrschenden und Beherrschten muss stehen und wird immer stehen.
    Wir betreten die Kirche. Dzidzia verbirgt ihr Haar unter dem bunt geblümten Seidentuch. Die Kirche innen: hässliche Gotik überputzt mit hässlichem Barock. Mich interessiert eine der Kapellen.
    «Oh, hier ist Kochanowski begraben», staune ich.
    «Was für ein Glück, dass ich von einem Mann keine Bildung verlange», lacht Dzidzia.
    Ich schäme mich nicht einmal besonders.
    Wir setzen uns in einer Bank.
    In einem Grab unter dem Fußboden dieser hässlichen Dorfkirche liegt Jan Kochanowski.
    Aber ohne Kopf, Kostek, der Kopf wurde aus der Gruft geholt, und später stellte sich heraus, dass die Leichen vertauscht waren, sein Kopf liegt im Grab der Ehefrau, und aus dem seinen hat eine Hyäne den Kopf der Frau für die Nachwelt geborgen, er liegt im Czartoryski-Museum; der falsche Kopf, nein – der richtige Kopf, eine nationale Reliquie, wurde im Schloss der Familie in Sieniawa bestattet und über dem richtigen und dem falschen grübeln die Forscher. Aber dich kümmert das gar nicht, Kostek, nicht wahr?
    Der Priester tritt in die Kirche, seine mickrige Gestalt aufgedunsen, in Schichten von liturgischen Gewändern gehüllt. Hinter ihm ein kleiner Ministrant, weiß Gott, wo sie den so schnell aufgetrieben haben.
    Der Pfarrer sieht kein einziges Mal zu uns her. Der Ministrant zittert vor Angst. Dzidzia steht auf, du tust es ihr nach.
    Ich tue es ihr nach und werde das weiter so tun.
    Der Priester verneigt sich vor dem Seitenaltar und nuschelt etwas auf Lateinisch, schlägt das Zeichen des Kreuzes.
    Es stimmt nicht, dass ich nie zum Gottesdienst ging. Ich ging schon, in Grudziądz und später in Trembowla, mit den Ulanen, obwohl ich in den Personalbogen auf Empfehlung meiner Mutter immer «evangelisch» schrieb: Zur Kirche ging ich trotzdem, ich wollte nicht zurückstehen, das heilige Abendmahl nahm ich natürlich nicht ein, und so waren alle ganz zufrieden und stolz auf mich, dass ich mit dieser Situation so gut zurechtkam, genau das erwarteten sie ja von einem Pistolenmann: bleibt bei seiner Meinung, erweist der Mehrheit aber den nötigen Respekt. Das Christentum interessierte dort auch niemanden richtig, das waren schließlich keine alten Weiber, sondern junge Offiziere, Ulanen – zur Kirche geht man, weil man eben muss, der Rest bleibt den Pfaffen und alten Tanten überlassen. Also ging ich, den Rest überließ ich meinetwegen dem Teufel.
    Priester und Ministrant wechseln ein paar Worte auf Lateinisch, bestimmt schon die Einleitung zur Messe.
    Dzidzia, die sich gesetzt hatte, steht nun auf und bekreuzigt sich, der Priester und der Ministrant machen weiter mit ihrem Geschäft, verbeugen und bekreuzigen sich alle Augenblicke und nuscheln ihre Formeln.
    «Und erlöse mich, Herr, von den Betrügerischen und den Ungerechten», sagt Dzidzia, ohne die Stimme zum Flüsterton zu senken.
    «Bitte?», frage ich verwundert.
    «Ab homine iniquo et doloso erue me», erwidert sie. «Das hat der Priester geflüstert, auf Latein, ich habe es dir übersetzt, Kostek, ich dachte, das könnte dir gefallen.»
    «Hörst du denn, was die da reden?», staune ich.
    «Ich muss es nicht hören, ich weiß doch, was die sagen», lächelt Dzidzia.
    Ich verstehe gar nichts mehr. Der Priester macht weiter mit seiner Litanei, auf dem Altar brennt ein Lämpchen.
    «Ich warte am Auto», flüstere ich Dzidzia ins Ohr, denn ich bringe es nicht fertig, laut zu ihr zu sprechen.
    «Spera in Deo, quoniam adhuc confitebor illi: salutare vultus mei, et Deus meus», sagt der Priester.
    Ich gehe raus. Verfluchter Kochanowski Fischficker. Verfluchte Pfaffen. Und Dzidzia. Sie spielen, alle spielen sie mit mir, als wäre ich ein Fußball, als wäre ich keine fünf Złoty wert. Ich werfe mir die MP i über die Schulter und gehe los. Trage Breeches und

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