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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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Kavalleriestiefel mit Sporen, schon wieder, dabei mag ich keine Pferde. Zwischen dem Ende der Zeit in Trembowla und dem Krieg habe ich kein einziges Mal im Sattel gesessen; furchtbar waren dann die ersten Tage, als wir in Großpolen aus dem Zug gestiegen waren und uns auf die Pferde quälen mussten. Als ich schließlich abstieg, waren meine Schenkel butterweich von den harten Pferdeflanken.
    Abgebrannte Häuser. Eine vorübereilende Frau verwandelt sich vor mir in eine Bettlerin, streckt, als sie mich sieht, die Hand aus. Ich greife in die Manteltasche, leer, also hebe ich die Mantelschöße und fahre in die Hosentasche, ein bisschen Kleingeld, ich hole eine Handvoll raus, Pfennigmünzen: einmal fünfzig, zwei Zehner und ein Fünfer. Auf allen Adler, und die Adler halten Hakenkreuze in den Klauen.
    Das Kleingeld meines Vaters. Was kann ein Mensch ohne Gesicht und ohne Schwanz für Kleingeld kaufen?
    Ich werfe der Frau das Geld hin, und mir wird schwindlig, doch stürze ich nicht. Zum Weinen ist mir zumute, doch ich weine nicht, ich kann nicht, darf nicht weinen, wie sollte ich weinen in der Uniform der Sieger, weinen könnte ich, wenn ich statt des grauen Mantels meine Uniform aus grüner Gabardine tragen würde, aber bei der Niederlage habe ich nicht geweint, denn das war mir alles scheißegal. Aber jetzt ist mir zum Weinen zumute, worüber, über was, die Welt möchte ich in meinen Tränen ertränken, diese armselige Frau am Nacken packen und ihren Kopf in die Lache meiner Tränen drücken, ich erreiche den Marktplatz und würde gern jeden dieser Juden am Schopf fassen und in meinen Tränen ersäufen.
    Ein Motorrad mit Beiwagen fährt auf den Markt, darin zwei Gendarmen, hinter ihnen ein Lastwagen. Sie steigen gerade aus, als ich hinter einer verrußten Mauer auftauche. Helme, gummierte, knielange Mäntel, auf der Brust an Ketten hängende Stahlkoppeln, schön geschmiedete Glieder, aber im Grunde doch erbärmlich, dieses Stümmelchen, ein atrophierter Plattenharnisch.
    Sie salutieren bei meinem Anblick, und ich frage mich ängstlich, ob mein Deutsch gut genug ist. Versuchen muss ich es so oder so.
    «Wo wart ihr, ihr Säcke!», brülle ich. «Diese Menschen warten hier seit einer Stunde auf euch!»
    Sie entschuldigen sich vielmals, ich weiß nicht, was sie mehr erschreckt, dass sie hier ein Offizier mit den furchteinflößenden Buchstaben GFP an der Schulter zusammenstaucht oder dass ich sie gleichsam im Namen der hier versammelten Juden zusammenstauche, obwohl die, das muss ich gestehen, abscheulich stinken.
    Ich war nie Antisemit, aber dass ich die Juden liebe, kann ich auch nicht behaupten. Das heißt: Einen Tuwim oder Leśmian könnte ich lieben, aber diese Kaftanvogelscheuchen hier, diese Peiesjüdlein kann man schwerlich gernhaben, das weiß jeder.
    Ich wende mich ab.
    Meine Hände beginnen zu zittern. In diesen grauen Handschuhen dürfen mir die Hände nicht zittern, ein Arm, der die schwarze Binde mit den Silberbuchstaben der Geheimen Feldpolizei trägt, darf nicht zittern, deshalb wende ich mich ab, als wäre es vor Wut, dabei bin ich nicht wütend, ich will sie nur zur Übung erniedrigen, und gehe zum Chevrolet, setze mich in den Wagen und lasse meine Hände dort zittern.
    Die Gendarmen führen eine Selektion durch. Sie wählen die kräftiger gebauten Juden zur Arbeit aus, verteilen Schaufeln, Spitzhacken und Spaten, worauf die Juden ihre Werkzeuge auf die offene Ladefläche des Lkw werfen und sich dann selber hochhangeln.
    Die, die auf dem Platz bleiben, kehren in ihr schläfriges, zielloses Dasein zurück, keine Hektik, wozu denn jetzt hektisch werden, da die Welt noch flüssig ist, zu keiner Form geronnen; damit die Juden hektisch sein können, muss die Welt eine Form haben. Ohne das lassen sie sich nur schläfrig treiben.
    Ich lasse den Motor an, fahre vor das Pfarrhaus und gehe zurück in die Kirche. Das dumpfe Knallen meiner Absätze auf dem Steinboden des gotischen Schiffs, der Priester steht gerade schweigend vor dem Altar, sein Ornat wie eine goldbestickte Violine, ich gehe, und er hebt die Hostie, flüstert seine lateinischen Beschwörungen. Ich knie nieder, im gleichen Reflex, mit dem ich auch einem Vorgesetzten salutiere, dieselbe Angewohnheit aus Grudziądz.
    Ich knie also im Mittelgang nieder, stehe aber gleich wieder auf, denn ich will nicht knien, ein Baldur von Strachwitz kniet vor niemandem.
    Baldur von Strachwitz geht nur vor deiner Mutter in die Knie, er kniet vor der Weißen Adlerin

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