Morphin
Dzidzia. «Die Riten haben mich nie interessiert.»
«Aber jetzt willst du die Messe hören?»
«Genau.»
Ihr liegt gar nicht an der Messe, verstehst du nicht, Konstanty?
Ich weiß, dass ihr nicht an der Messe liegt, sondern dass sie mich in einem Moment der Macht, vielleicht der Gewalt sehen will. Ich könnte nein sagen, aber ich selbst will mich in so einem Moment erleben, klopfe also an die Tür des verputzten, von Bomben unberührten Ziegelbaus, des Pfarrhauses.
Ich klopfe aufdringlich, heftig und rufe, denn das scheint mir angebracht:
«Aufmachen! Schnell!»
Ein Priester öffnet, ein Vikar eher, denn er ist jung, arm und mager, mit Brille, ein Glas ist gesprungen, das Gestell verbogen.
«Ja, worum geht es?», fragt der Priester. Sein Deutsch klingt sehr polnisch, aber es ist Deutsch.
«Die Dame möchte gern die Messe hören», erwidere ich.
Ich schau ihn an, schau ihm erwartungsvoll ins Gesicht, trage eine Uniform mit deutschem Adler auf der Brust, ein Halfter am Gürtel, die Kragenstreifen des Offiziers und Epauletten, eine Mütze.
Er ist überrascht, dass ich polnisch spreche, deswegen wägt er einen Augenblick ab, was zu tun sei. Hätte ich die Forderung auf Deutsch gestellt, hätte er wohl keine Sekunde lang gezögert und wäre sofort gegangen, jetzt hat er nicht nur Angst vor mir, sondern fragt sich auch, warum ich polnisch spreche, ein Fehler von mir, wieder ein Fehler, lauter Fehler.
Hinter dem mageren Vikar taucht der Pfarrer auf. Dem Vorurteil nach hatte ich einen dicken Pfarrer erwartet, der hier ist eher mickrig, der obligatorische Kontrast zwischen Dorfpfarrer und Vikar beschränkt sich auf die Ordinationsachse.
«Was gibt es?», fragt der Pfarrer.
«Dieser Herr Offizier spricht polnisch», kommt der Vikar uns zuvor. «Und er wünscht, dass wir die heilige Messe feiern, denn seine Begleiterin möchte das gerne.»
«Aber wir beide haben heute schon die Messe gelesen», protestiert der ältere Priester. «Und wir sollen das nicht mehr als einmal täglich tun. Es geht nicht, dass irgendjemand einfach kommt und die Messe von uns verlangt.»
«Interessiert mich nicht», erwidere ich.
«Das glaube ich. Aber wenn die Dame die Messe hören will, dann ist sie katholisch und die Gebote unseres Glaubens werden ihr etwas bedeuten. Von daher …», fährt der Priester fort.
«Pfaffe …», sagt Dzidzia hinter meinem Rücken. Sie ist ihm ins Wort gefallen, er verstummt.
Sie sagt das sehr leise. Zischelt beinahe. Sagt es, wie nur wahre Aristokraten das können. Doch das ist keine Frage des Blutes, auch meine Mutter konnte so sprechen, letztlich eine Kleinbürgerin, auch mein Vater, obwohl seit siebenhundert Jahren, seit Ewigkeiten ritterliches Blut durch die Familie strömt.
Die Priester schrumpfen von diesem Wort zusammen. Sie wissen genau, wer so zu ihnen sprechen darf, in diesem Ton, solche Worte, auf diese Weise.
«Pfaffe», wiederholt Dzidzia. «Ich will die Messe hören. Ich bin nicht ‹irgendjemand›.»
Die Gesichter über den Soutanen werden lang. Sie schweigen einen Augenblick.
«Selbstverständlich, ich meine nicht Sie, verehrte Dame. Bitte um Verzeihung», flüstert der Pfarrer unterwürfig. «Bitte warten Sie in der Kirche.»
So antworten die Sklaven dieser Welt den Herren dieser Welt. Und den Herrinnen. Aber dir gab das einen Stich, Konstanty, obwohl du doch mit Herz und Seele der Herrenwelt angehörst, schließlich bist du kein Sklave, aber einen Stich gab es dir, einen Moment warst du auf der Seite dieses Priesters, auch wenn du in deutscher Uniform mit der Maschinenpistole vor ihm stehst. Aber du weißt doch, Konstanty, dass die Welt so eingerichtet ist, immer wird es Herrschende und Beherrschte geben, und die Grenze zwischen ihnen ist unüberwindlicher als die Grenze zwischen Erlösten und Verdammten, das sind entgegengesetzte Pole dessen, was Menschsein heißt.
Ob ein römischer Senator und sein Leibeigener, ein Baron im Panzerhemd und sein Bauer, Bellator und Laborator, ob Dzidzia und dieser Pfarrer mit dem Bauerngesicht oder irgendeine andere Konfiguration dieser beiden grundlegenden und unvereinbaren Arten von Menschsein, der Herrschenden und der Beherrschten.
Und ich war einen Augenblick lang auf Seiten dieses Priesters, auch wenn ich in deutscher Uniform vor ihm stehe. Obwohl ich weiß, dass Gewalt und ihre Androhung, auf die jede Macht sich stützt, der Grund- und Urstoff dieser Welt ist. Und plötzlich, jetzt, jetzt gefällt mir das nicht, dabei habe ich so
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