Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
Vom Netzwerk:
Mannesalter, der schwarze Bart dicht wie aus Filz, keine Peies, Schirmmütze.
    «Sehr geehrter Herr Offizier …», beginnt er in gutem, reinem Deutsch, nachdem er die Mütze abgenommen hat. Er knetet sie jedoch nicht in den Händen, er hält sie einfach.
    «Ich spreche Polnisch.» Warum sage ich das, in gutem, reinem Polnisch, ist mein Polnisch gut und rein?
    «Ach», sagt der Jude verwirrt.
    «Worum geht es?», frage ich, und Dzidzia lächelt an meiner Seite wie eine Königin.
    «Herr Offizier, also …», antwortet er in gutem Polnisch. «Also, uns wurde befohlen, uns heute hier auf dem Markt zu versammeln, zu Aufräumarbeiten, allen Juden aus Zwoleń wurde das per Bekanntmachung befohlen. Jetzt sind wir hier alle erschienen, aber bisher ist niemand gekommen. Wir wissen nicht, was tun. Wir haben weder Werkzeuge, denn es hieß ja, dass die nicht nötig sind. Sie sind gewiss nicht deshalb hier, oder? Einen Offizier wie Sie hätte man doch nicht zur Beaufsichtigung von ein paar Juden geschickt, nicht wahr?»
    Ich höre geduldig zu. Dzidzia lächelt königlich. Ich höre zu, dann erwidere ich:
    «Nein, niemand hat mich hier zur eurer Beaufsichtigung geschickt. Wartet einfach, bald wird jemand kommen.»
    «Natürlich, Herr Offizier. Auf Wiedersehen. Einen guten Tag wünsche ich Ihnen.»
    «Auf Wiedersehen», sage ich und bin im Begriff, die Mütze zu lüften wie einen Hut.
    Der Jude verbeugt sich, dreht um und geht.
    «Ich will in die Kirche», sagt Dzidzia.
    «Dann gehen wir.» Der Turm ragt hinter den Ruinen auf, wir kommen in eine ausgebrannte Gasse, doch ich kehre plötzlich um. Das Auto zuschließen, ich wühle den Schlüssel aus der Tasche und schließe ab.
    Die Juden gucken mich an, als wäre ich übergeschnappt.
    Bist du auch, Kostek, hör endlich, was ich sage, mit dem Herzen, nicht nur mit dem Ohr, du bist wohl übergeschnappt, Kostek, das Auto abzuschließen! Damit zeigst du deine Feigheit und Schwäche, du gehst davon aus, jemand könnte es wagen, ihn zu stehlen.
    «Meschuggener», denken die Juden. Verrückt geworden der Deutsche, polnisch spricht er, komischer Deutscher.
    Dzidzia sieht dich seltsam an. Verächtlich? Nein. Geringschätzig? Nein.
    Mich. Nicht. Baldur? Nicht. Dzidzia guckt Konstanty komisch an, geringschätzig, denn sie sieht in dieser Uniform Konstanty, nicht mich, Baldur von Strachwitz, sie weiß nicht, dass ich Baldur bin.
    Dass ich es bin, Baldur, Baldur von Strachwitz.
    «Wozu willst du denn in die Kirche?»
    «Heute ist doch Sonntag», antwortet Dzidzia lachend, und ich weiß nicht, ob sie perfide spottet oder es für sie tatsächlich wichtig ist, dass heute Sonntag ist, ich weiß es nicht.
    Der Bau ist gotisch. Seitlich angebaut eine Renaissancekapelle auf quadratischem Grundriss, wie beim Waweł. Das interessiert mich einen Scheiß.
    «Gehst du denn nicht zur Kirche, Konstanty?», fragt sie.
    «Ich bin nicht getauft», antworte ich.
    Dabei ist doch Baldur von Strachwitz getauft, ich bin getauft, natürlich, denk an den heiligen Jacek Odrowąż, katholischer Adel. Wojsław von Strachowice war auch getauft, schon ein Ritter, kein slawischer Haudegen mehr, Baldur von Strachwitz muss ebenfalls getauft sein, sogar der schwarze Wildschweinkopf in unserem Wappen wird getauft sein.
    Selbst Katarzyna Willemann ist getauft, nur er, der arme Kerl, der arme Kostek nicht, weil die Adlerin die Priester hasste und Baldur verbat, ihren Sohn taufen zu lassen, und ich liebte nur sie, sie war meine Welt, und wenn sie die Priester hasste, hasste ich sie auch und ließ meinen einzigen Sohn nicht taufen, da sie mir das verboten hatte, dreißig Jahre ist das her, ich war damals so jung und hatte ein Gesicht, jetzt habe ich wieder ein Gesicht, das Gesicht meines Sohnes, den ich nicht taufen ließ.
    «War bestimmt nicht leicht?», fragt Dzidzia ahnungsvoll, besorgt.
    «Ich habe immer gesagt, wir sind evangelisch. Hat meine Mutter mir beigebracht, aber in die Kirche gingen wir nicht, ich habe gelogen, dass wir evangelisch sind, dass ich in der Kirche in Kattowitz getauft bin, aber das stimmt nicht», stoße ich heraus.
    Dzidzia fasst mich unter dem Arm.
    «Ich würde gern die Messe hören.»
    Ich sehe auf die Uhr, wie ein Idiot, als wüsste ich nicht, wie spät es ist, klar weiß ich das.
    «Es ist doch schon nach vier», wundere ich mich.
    «Aber du bist bei mir. Du könntest doch den Priester bitten …?»
    «Können die denn einfach so zweimal am Tag die Messe lesen?»
    «Keine Ahnung», lächelt

Weitere Kostenlose Bücher