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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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jung und gut gewachsen, kommt ins Esszimmer und stellt eine Suppenterrine auf den Tisch, legt einen halben Brotlaib dazu. Nicht viel.
    «Mehr ist nicht da.»
    «Danke, das reicht», sage ich.
    Versöhnlich? Oder nicht versöhnlich?
    Die Haushälterin schenkt Suppe in die Teller und zieht sich zurück, sie wird ihre Mahlzeit in der Küche zu sich nehmen. Kräftige, breite Hüften, auch die Arme stark wie die einer Schwimmerin, die Brust groß und schwer, nicht sehr sportlich und auch nicht elegant, aber sie passt hier ins Bild. Sehr ärmlich gekleidet.
    Der Pfarrer spricht ein Gebet und nimmt, als Hausherr, als Erster einen Schöpfer von der dünnen Suppe.
    «Seltsam. Dass Sie, Herr Pfarrer, mit einem so jungen Vikar in der Pfarrei, eine so junge Haushälterin haben», knüpft Dzidzia ein Gespräch an, genau zum richtigen Zeitpunkt, nach dem vierten Löffel Suppe, als das Schweigen schon deutlich, aber noch nicht peinlich im Raum steht.
    Was sind denn das für Gedanken, sagt Frau von Trąbecki Czesławowa Bielska, und überhaupt, na sag schon, Konstanty, wo gibt es denn so was, dass wir als geladene Gäste eines Abendessens die Konversation beginnen?
    Der Vikar verschluckt sich fast an seiner Suppe. Der Pfarrer sieht Dzidzia an und schweigt, überlegt, wie man überhaupt auf so ein Diktum reagieren könne. Wenn er darauf eingeht, den Faden aufnimmt, bedeutet das womöglich, dass er diese Polnisch sprechenden Deutschen nicht nur unter unausgesprochenem Zwang beherbergt, sondern sie als richtige Gäste empfängt. Sie steigen nicht bei ihm ab, sondern sie sind seine Gäste. Wie reagiert man auf die im Grunde unverschämte Bemerkung dieser seltsamen, mutigen Frau, wer ist sie? Wird er es wagen, sie mit einer ausbleibenden oder auch groben Antwort vor den Kopf zu stoßen? Schließlich wird dieser Mensch in der grauen Uniform ihn wohl nicht gleich erschießen, Offiziere schießen nicht auf Priester, und ganz bestimmt nicht beim Abendessen, selbst wenn es ein bescheidenes ist. Aber soll er den Vikar verletzen, indem er auf dieses Spiel eingeht, der Bemerkung nicht widerspricht, sie auch nicht abtut? Und wenn sie die Wahrheit angesprochen hat?
    Deshalb schweigt der Pfarrer eine Weile und sagt schließlich:
    «Es war gerade keine alte und hässliche zur Hand.»
    Das löst den Gesprächsknoten aber noch nicht, denn nun liegt die Frage der Attraktivität des Vikars in der Waagschale. Der ist wieder zu Atem gekommen, heftet den Blick starr auf den Teller und löffelt eifrig, als interessierte ihn nichts auf dieser Welt mehr als die Suppe. Womöglich ist das tatsächlich so: Erst das Fressen.
    «Aber unser Vikar ist doch so einer nicht, und unsere Hanna verheiratet, sie schaut nur vorbei», erklärt der Pfarrer, und Frau Hanna trägt eine traurige Flasche Wein auf. Ein vernichtender Blick des Pfarrers.
    «Vier sind noch übrig, Euer Gnaden, da dachte ich, ich trag ihn auf, wenn Gäste da sind, vielleicht mögen sie …», verstummt sie langsam.
    «Na stellen Sie schon her, Hanna, machen Sie auf und gehen Sie», sagt der Pfarrer leer.
    Und ich weiß, warum, denn jetzt hatte er nicht nur einen Deutschen zu Gast, er trinkt auch mit einem Deutschen, tränkt einen Deutschen.
    «Ich bringe Gläser», erwidert sie, ohne die Fassung zu verlieren. «Und der Herr Vikar öffnen.»
    Er öffnet, gießt Wein in die Gläschen. Ich probiere, miserabel, aber manchmal schmeckt sogar das Miserable. Wir trinken aus. Alle schweigen, Dzidzia amüsiert von der über dem Tisch lastenden Stille, als hätte sie alles und alle am Tisch Versammelten unter Kontrolle, und vielleicht ist das tatsächlich so, bestimmt ist es so, wer sonst.
    «Zeit für die Nachtruhe, denn morgen früh …», beginnt der Pfarrer, erhebt sich vom Stuhl und wird sich bewusst, dass ihm keine Ausrede einfallen wird.
    Jetzt lacht Dzidzia schon sehr laut.
    «Na, dann begeben wir uns zur Nachtruhe. Wo werden denn die Hochwürden nächtigen, wenn wir die Zimmer belegen?»
    «Ach, wir kommen schon zurecht …», sagt der Pfarrer verlegen.
    «Hochwürden gewiss, aber der arme Vikar … Er wird wohl nicht auf dem Flur schlafen.»
    Dieser Flirt ist so offensichtlich, dass sogar der Pfarrer ihn bemerkt. Dem Vikar, wahrscheinlich noch jungmännlich, zittern die Hände, das Gesicht glüht.
    «Bleiben Sie doch noch eine Weile sitzen, wir bereiten mit Hanna Ihre Zimmer vor», stammelt der Pfarrer, und sie gehen. Durch die geschlossene Tür hören wir, wie der ältere Kaplan den jüngeren

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