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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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wie es gewesen ist!»
    Sie schaut mich an, als interessiere sie sich für etwas Bizarres, dass sie zum ersten Mal sieht und deshalb genau betrachten will.
    «Es war so, wie es sein sollte. Es hilft nichts, hier im Sand zu wühlen, nachher finden wir da noch diese verfaulten Leichen. Um Gottes willen. Weißt du, wie so was stinkt, Kostek?»
    Der Schlüssel steckt noch im Zündschloss, ich hoffe nur, dass die Batterie sich nicht entladen hat, dass ich noch starten kann. Der Chevrolet besitzt nicht mal eine Kurbel, um ihn per Hand anzulassen. Aber bevor ich mir richtig Sorgen machen kann, springt der Motor an.
    «Vielleicht sollten wir das doch nachprüfen. Das ist ja keine Kleinigkeit, dreihundert Gefangene … Und Chochoł hat sogar gesagt, welches Regiment es war, das dreiundsiebzigste der Infanterie …», sagst du.
    Dzidzia lacht und wischt das mit ihrer Hand weg, sie lacht wie bei einem ungehörigen Possenreißer.
    Ich lege ein volles Magazin in die Maschinenpistole. Für alle Fälle. Wir fahren so schnell wie möglich, die Straße führt durch Felder und Wiesen, oft leicht sumpfig, manchmal ein Wäldchen. Die ganze Zeit Dzidzias Schweigen und mein Schweigen und des Motors gleichmäßiges Rauschen und Gołębiów und wieder ein Wäldchen und wieder Felder und eine Windmühle, und wir erreichen Lipsko.
    Lipsko ist wie jedes andere Städtchen aus Holz, Stroh und Mist. Verschlammt. Stinkt nach Gülle und jüdischen Ausdünstungen und Winden von ihrem Tscholent und ihren Zwiebeln, und den polnisch-bäuerlichen Ausdünstungen, dem Furzen vom Kohl. Menschen auf den Straßen. Ich denke, was ist das denn für eine Rasse – wenn es Bauern sind, dann sind sie entweder mickrig, missraten, kränklich, zur Arbeit unfähig, oder aber gesund und kräftig, nur irgendwie affenhaft, diese langen Arme, fassrunden Rümpfe, kurzen und meist affig krummen Beine. Einen großgewachsenen, athletischen und schlanken Mann bekommt man in solchen Dörfern nicht zu sehen. Es gibt zwar junge Mädchen, die schlank und biegsam wie Zirkusartistinnen sind, die verschwinden aber dann, und die reifen Frauen zeigen keinerlei Rasse mehr, ihre ganze Schönheit welkt mit dem ersten Kind, die Hüften gehen in die Breite, die Gesichter verhärten, die Blicke stumpfen ab, viele solcher Weiber habe ich gesehen, als ich mit unseren Autorallyes durch Polen fuhr, je weiter nach Südosten, desto schlechter die Leute. In Großpolen ist das Völkchen zwar auch ein bisschen schwerfällig, aber doch gesund, und wenn nicht schön, so doch sauber und ansehnlich. Die Schlesier sind mickrig und die Frauen eher hässlich, aber ebenfalls gesund, die Bergler rassig, ein schönes Volk, die Frauen so lala, aber die Männer prächtig, obwohl es natürlich auch da viele Kretins gibt – aber dann der ganze Rest, guter Gott, das soll noch die menschliche Art sein? In den Städten sieht es etwas anders aus, dorthin sind die Besseren ja schon immer abgeflossen, und die Intelligenz liegt auch höher, das ist gleichsam ein anderer Stamm.
    Solche Gedanken kommen mir, als ich langsam durch diese dörflichen Hütten fahre, ich werfe einen Blick auf die Uhr – gerade erst Mittag. In Lipsko die Synagoge, Brandreste, tiefschwarz. Auf meiner Frontscheibe und auf den verkohlten Balken plötzlich erste Schneeflocken. Erst eine, die verschwindet, dann fünf, die zehnte bleibt liegen. Es war schon am Morgen sehr kalt gewesen.
    Ich fahre, wir kommen durch Lipsko, beim Flüsschen an einer Mühle vorbei, das Wasser dreht das Rad wie das große Chakra der Welt, denke ich, und wir fahren, immer weiter.
    «Wir müssen irgendeinen Plan machen, wie wir über die Grenze kommen und wie … Und wo wir übernachten», sage ich vor mich hin, in die Fensterscheibe. Die Scheibenwischer schieben den Schnee weg.
    «Fahr, Konstanty. Fahr einfach. Immer geradeaus. Nicht anhalten.»
    Ich fahre. Die Straße führt durch Felder, die rasch weiß geworden sind. Eine steile Schlucht, hinein geht es leicht, am Ende zerfurchter, tiefer Matsch, von Schnee bedeckt, dreimal muss ich zurücksetzen, um den Chevrolet aus dem Hohlweg herauszubekommen, und wieder fahren wir, links zieht ein Park mit einem ansehnlichen Herrenhaus vorbei.
    «Daniszów», sagt Dzidzia schon, als der Park von weitem herüberschimmert.
    Vor dem Herrenhaus Deutsche. Lastwagen mit roten Kreuzen auf weißem Feld, Menschen in weißen Kitteln über graugrünen Uniformen. Ein Spital. Wir halten nicht an.
    Und weiter über weiße Felder, zuerst

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