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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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Und dort steht dieser Bus tatsächlich, ein deutscher Wehrmachtsbus, wahrhaftig durchlöchert, warum hat man ihn noch nicht beiseitegeräumt, man hätte das doch die Juden machen lassen können. Warum nicht?
    Musikanten im Krieg. Zu Kosteks kleinen Soldaten hätten diese Musikanten gepasst mit ihren Trommeln und Trompeten, sie hätten zum Angriff spielen können wie die Trommler und Pfeifer bei Austerlitz oder Borodino. Aber wozu Musikanten in so einem dunklen Krieg, alle in Unwissenheit, wo wir sind und wo der Feind, so einem Versteckspielkrieg, Panzer aus dem Nichts, Flugzeuge aus dem Nichts, wir verstecken uns in den Wäldern, die Ulanen suchen meinen Blick, Herr Leutnant, was wird mit uns?, wir gewinnen diesen Krieg nicht, Herr Leutnant. Aus reiner Höflichkeit, ich bin ja bloß Unterleutnant. So einen sollte ich wegen Defätismus zusammenstauchen, zusammenscheißen wie eine Sau, als Schlappschwanz beschimpfen und mit dem Kriegsgericht drohen. Aber stattdessen sage ich zum französischen Helmrand: Nein, tun wir nicht, Mensch, den gewinnen wir nicht. Und über uns schreddern die deutschen Kugeln die Baumstämme.
    Und im Bus die deutschen Musikanten, durchlöchert wie ein Sieb, ihre Trompeten werden nie mehr schmettern, nie mehr erdröhnen die Trommeln, denn die lassen sich nicht mehr stimmen.
    Musikanten oder nicht. Und wenn sie statt der Trompeten nun Gewehre vom Typ Mauser hatten, statt der Flöten Parabellums auf dem Schoß, statt der Trommeln Granatwerfer, statt der Oboen Maschinengewehre, statt der Becken Minen, und auf solche haben die unseren geschossen? Oder vielleicht war der Bus leer und fuhr überhaupt nicht, sondern stand gerade da? Denn wenn er gefahren wäre, hätte er nicht unter dem Beschuss verunglücken müssen, statt elegant zum Stehen zu kommen? Vielleicht wollte der Oberst einfach nur eine hübsche Anekdote erzählen? Welche Bedeutung hat das? Es ist so unwichtig wie die polnischen Kriegsgefangenen, vergraben oder nicht vergraben. Musikanten, erschossen oder nicht erschossen.
    Und wir fliegen weiter, auf der Landkarte Pacanów in Kapitälchen, seine wenig zahlreichen Lichtlein draußen. Ach, ein Elend ist’s mit Ziegenbock, riefen alle ganz verdrießlich, nehmt das Gewehr ihm weg, sonst wird er jemand noch erschießen, rezitierte Jureczek.
    Die Weichsel.
    Die Brücke gesprengt, davor ein Posten.
    Der Wachmann leuchtet mit der Laterne. In die Frontscheibe. Er sieht die Uniform. Schnee auf seinem Helm und den Schultern und dem rauen Mantelstoff.
    Ich kurble die Scheibe runter.
    «Guten Abend.»
    «Guten Abend, Herr Offizier», antwortet der Soldat höflich. «Darf ich Ihre Papiere sehen?»
    Ich zeige die GFP -Scheibe. Der Soldat salutiert.
    «Wo kann ich die Weichsel überqueren?»
    «Die Polen haben die Brücke gesprengt. Aber gleich daneben ist unsere Pontonbrücke, provisorisch. Hier die Straße entlang wie zu der gesprengten. Herr Offizier kommen durch. Aber das Wetter ist grauenhaft, oder?»
    «Stimmt, stimmt …»
    «Schnee im Oktober!»
    «Merkwürdiges Jahr.»
    «Ein ziemlich merkwürdiges, Herr Offizier. Gute Fahrt.»
    «Wo kann man hier tanken?»
    «Auf der Wache an der Brücke haben sie Benzin, sie geben es Ihnen, wenn Sie es fordern.»
    «Danke.»
    Ich drehe das Fenster hoch, fahre, wir fahren, dann vor mir die Brücke, tatsächlich gesprengt, Straße und Bahn zerfetzt, verbogene Schienen in Luft und Schnee, man muss hinabfahren, unten ist eine Pontonbrücke, daneben ein verfrorener Posten. Ich zeige das Medaillon, ist Benzin da? Tanken! Sie zögern, denn wenn das nun eine Falle ist? Volltanken, aber sofort! Schon werden sie hurtig. Fertig, Herr Offizier. Weiter geht’s, wir können fahren.
    Die Weichsel, der Schnee ertrinkt sofort in ihrem Schwarz. Ich fahre. Spüre, wie der Fluss die Brücke trägt, leere Kähne verdrängen das schwarze Wasser, darauf eine Fahrbahn, und auf ihr ich wir fahren noch ich fahre.
    Und jetzt? Schon Szczucin. Die Kirche, wie eh und je, die Synagoge kann verbrannt sein oder nicht, doch eine Kirche gibt es immer, groß klein hölzern gemauert von weitem sichtbar oder versteckt, aber da.
    Die Kirche wie eh und je.
    Weiter. Schon Dąbrowa? Richtung Tarnów.
    Urwald. Eichen, Hainbuchen und Ulmen, älter als der Mensch oder jünger als der Mensch? Wir fahren vorbei am Unterholz und durch dicke Stämme, und ich weiß nicht: Ist das Wald, der vor uns gewachsen ist, oder Wald, der nach uns gewachsen ist?
    Dąbrowa. Tarnowska.
    Aus einem Seitenweg kommt ein

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