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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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spricht. Der in der Nähe lagernde Pferdeführer unterbricht sein Schläfchen und lauscht Chochołs Rede wie bezaubert, murmelt etwas in sich hinein, und dieses Murmeln fließt mit dem Rauschen des Waldes zusammen und bildet eine monotone, doch erhabene Begleitung zu des Rittmeisters Worten. Und der spricht:
    «Ich werde die Waffen nicht strecken, niemals. Erst wenn sie kalt und tot ist, wird meine Hand von der Waffe lassen. Diesen Eid habe ich Pani Jazłowiecka gegeben, bevor wir in den Krieg zogen, und von diesem Eid kann mich weder der Oberst noch der Oberbefehlshaber Śmigly-Rydz, nicht einmal Gott kann mich davon entbinden, nur sie allein. Und von ihr habe ich keinen Kapitulationsbefehl gehört und erwarte ihn auch nicht. Im ganzen Volk habe ich fünf Männer gefunden, die bereit waren, diesen Eid vor mir nachzusprechen, und sind diese fünf Männer nicht genug, das ganze Volk auferstehen zu lassen? Sie werden der Gärstoff des Neuen Polen sein, eines Polen aus dem Geiste, eines Polen, das aufersteht nicht nur in den Grenzen und Ämtern, sondern das auch wiedergeboren wird in den Herzen. Aus ihrem Blut – denn ihr Blut muss fließen, wie auch meines fließen wird. Ihr Blut wird säen das Samenkorn der Wiederauferstehung.»
    Er verstummt plötzlich, als würde ihm bewusst, was für törichte Dinge er da redet. Der Pferdeführer hört auf zu brummeln.
    Dabei war das absolut passend, Kostek.
    Warum hast du keine Angst, Kostek? Der Rittmeister setzt seinen Kreis um das Feuer fort.
    «Reiß ihm die Pistole weg, und wir hauen ab», flüstert Dzidzia.
    Tu das, Dummkopf! Du bist jünger als er, stärker! Der Mann wird dich ja am Ende doch erschießen, er ist verrückt, und selbst wenn er es nicht tut, dann bringt dieses Überbleibsel, dieser Oktoberpartisan es fertig und knallt dich ab.
    Aber vielleicht hast du deshalb keine Angst, weil du mehr weißt als ich, ist das möglich, dass du mehr weißt als ich, die Einzige, die dich wirklich liebt?
    «Was für Tote im Morgengrauen meinten Sie vorhin?», fragst du plötzlich. Frage ich.
    Chochoł guckt entgeistert, hält inne in halbem, peripatetischem Schritt. Sieht dich an, sorgenvoll, aufmerksam, wachsam.
    «Dreihundert Ermordete!», flüstert er. «Bestialisch umgebracht, wehrlose Kriegsgefangene vom Dreiundsiebzigsten Infanterieregiment, abgestochen wie Tiere, von den deutschen Schergen.»
    Ich schlucke, bin ziemlich nervös. Wenn er sich jetzt da hineinsteigert, könnte er mich auf der Stelle erschießen.
    «Sie kamen mit gepanzerten Transportfahrzeugen, die Raupen rumpelten über die masowische Scholle», deklamiert Chochoł. «Und sie kämpften, unsere Jungs, sie ergaben sich erst, als ihnen die Munition ausging. Sie hatten nicht daran gedacht, die letzte Kugel für sich selbst aufzubewahren.»
    Der Pferdeführer verbirgt kopfschüttelnd das Gesicht in den Händen.
    «Doch für die Sieger gab es das Wort Ritterlichkeit nicht, sie rissen unseren tapferen, unterlegenen Soldaten die Jacken vom Leib, schnitten ihnen die Hosenträger durch, damit sie nicht wegrennen konnten, und erschossen sie wie Banditen, mit Maschinengewehren, warfen die Leichen in einen Graben, unweit von hier, in Dąbrowa.»
    «Unsere Infanterie hat keine Hosenträger. Hatte, meine ich», sagt leise der Pferdeführer.
    Chochoł lässt sich auf einmal auf den Sattel sinken, wirft die Pistole auf die Erde, stützt den Kopf in die Hände.
    «Jetzt», zischt Dzidzia.
    Ich sehe sie an, erschrocken. Ich habe Angst, nach der Pistole zu greifen.
    «Tu es, verdammt. Das ist ein Irrer.»
    Also greife ich nach dem Holster. Der Pferdeführer rollt sich geschickt weg, hinter einen Baum. Ich knöpfe auf, ziehe die Sauer. Chochoł weint, hebt den Kopf nicht, also lade ich die Pistole und erschieße Chochoł.
    Ich gehe hin – er ist tot. Ich hebe die ViS, ziehe das Magazin heraus, leer.
    «Erschieß den anderen Trottel auch», befiehlt Dzidzia, als ginge es darum, einen Apfel zu pflücken, und im Grunde ist es auch nichts anderes. Einen Menschen töten ist wie einen Apfel pflücken.
    Anders als viele meinen, ist es ganz einfach. Manche haben eine abergläubische Angst davor, als wäre das Töten eines Menschen etwas anderes als einen Stein in den Fluss zu werfen, einen Baum umzuhauen oder Sand zu schippen. Manche, gar nicht so viele, glauben, Gott erlaube das nicht; doch selbst wenn irgendein Gott oder irgendwelche Götter über dem lichten Himmelsgewölbe schweben sollten, dann haben sie den Menschen so

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