Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
Vom Netzwerk:
blüht wie immer der Schimmelpilz, und dann gehen wir schlafen, und ich schlafe mit ihr, mir fehlte dieses Schlafen unter einer Decke mit einem warmen, weichen Frauenkörper; und am Morgen werde ich vor ihr wach und will mich heimlich verdrücken.
    In der Küche ziehe ich den zivilen Anzug an, aber ich will weiterhin als Baldur von Strachwitz auftreten und stecke mir die Dokumente und die magische Plakette ein, schiebe die Sauer hinter den Gürtel. Uniform, Zubehör und Militärstiefel verstaue ich im Koffer.
    Geld für Sala, für Sala Zylberman. Ich lege dreißig Dollar auf den Tisch.
    Als ich schon an der Tür bin, kommt Sala heraus, in die Bettdecke gewickelt, nackt unter der Decke.
    «Du kommst nicht mehr zu mir, Kostja, stimmt’s?»
    «Nein.»
    «Hast du mir Geld dagelassen?»
    «Auf dem Tisch. Lass es dir gutgehen, Salomé.»
    «Ja. Ich leg mich noch ein bisschen schlafen.»
    «Gut.»
    Ich gehe. Es ist früh, die Sonne ist gerade erst aufgegangen, Kälte, ich will nicht nach Hause gehen, will nicht in das Schokoladenhaus, ich habe Angst vor Geistern.
    Ich gehe in Richtung Altstadt, biege aber in die Karowa ab, steige die Stufen zur Anhöhe hinauf und komme ein bisschen außer Atem.
    Über der Stadt graue Wolken, aber wenigstens schneit es nicht. Ich weiß nicht weiter, doch zum ersten Mal im Leben stört mich das überhaupt nicht. Denn plötzlich ist mir klar, und ich weiß nicht, woher, dass man den Dingen nur erlauben muss zu geschehen.
    Zwei Halbwüchsige kleben gelbe Bekanntmachungen ans Gebäude der Polnischen Hygiene-Gesellschaft. Einer hält das Papier, der andere pinselt darüber, sie drücken es fest. Und schon die nächste, die dritte; ich gehe zur ersten.
    Ein gewisser Hans Frank proklamiert die Bildung des Generalgouvernements für die besetzten Gebiete Polens. Steifer hat sich nicht geirrt: Hier muss etwas entstehen. Fragt sich nur, was.
    Ich gehe weiter, durch die Krakowskie, die Trębacka, bis zur Fredro. Die ausgebesserten und geräumten Straßenpflaster mehren sich, auch die geradlinigen Gleise, doch die Stadt versinkt im Schlamm. In der Fredro graben drei alte Kaftanjuden ein Grab auf.
    «Was tut ihr da, Leute?», frage ich verwundert.
    «Allgemeine Exhumierung wurde befohlen, da graben wir, wo man uns gesagt hat.»
    Das Loch ist schon tief, ich schaue hinein. Man sieht eine Leiche, die Leiche einer Frau, im Kleid. Mit den Spaten legen sie sie frei. Das Kleid verdreckt, aber man erkennt kleine, weiße Blüten darauf. Rosen. Rosengetupfte Sommerkleider habe ich immer gemocht.
    «Lasst die Spaten, zieht sie schon raus», befehle ich.
    Sie sehen mich unwillig an.
    «Wenn Sie so schlau sind, Mensch, dann holen Sie sie doch selber raus», knurrt einer.
    «Nicht frech werden, Jude. Du sprichst zu einem Deutschen», schnappe ich zurück.
    Warum tat ich das? Ich tat das einfach so. Oder tat es, weil ich nicht will, dass sie mit den scharfen Spaten einen ohnehin toten Körper verletzen, und das will ich nicht, weil ich es einfach nicht will?
    Sie gucken sich an und mich, mehr Angst als Abneigung. Sie legen die Spaten beiseite, machen sich daran, den Leichnam mit den Händen freizulegen, buddeln ihn aus und ziehen ihn nach oben. Es stinkt.
    Ich befehle noch, sie zuzudecken, aber bevor sie das tun, kann ich genauer hinsehen: eine Leiche wie jede andere, nichts Besonderes. Rosengeblümtes Kleid. Das Alter nicht zu erkennen, der Körper von Erde verklebt. Der eine Jude breitet eine Plandecke über den Leichnam.
    Der Wachmann vor dem Deutschen Klub erkennt mich, was mir das Hervorkramen meiner Willemann-Papiere erspart, denn hier hätte ich durchaus Befürchtungen, mich als Baldur auszuweisen.
    Ich trete ein. Gehe zu ihrem Büro, Leute kommen an mir vorbei, ich komme an niemandem vorbei, sehe niemanden. Trete ein, ohne anzuklopfen. Ich weiß, dass sie schon hier ist, und sie ist da, in Uniform, das Haar gefasst, am Schreibtisch tippt eine uniformierte Sekretärin in die Maschine, und meine Mutter hebt den Blick von einem Papier, wütend, dass jemand ohne anzuklopfen hereinplatzt, doch die Wut verfliegt bei meinem Anblick sofort.
    «Konstanty!», freut sie sich und blafft, ohne ihre Freude zu unterbrechen, die Sekretärin an: «Raus, Hilda. Aber sofort!»
    Die Sekretärin ist wie weggefegt, nicht einmal ihr Gesicht bekomme ich zu sehen, ihr Blick zu Boden gerichtet.
    «Guten Tag, Mama», sage ich.
    «Guten Tag, Konstanty. Setz dich.»
    Ich setze mich auf dem Bittstellerstuhl und bin doch keiner.
    «Trinkst

Weitere Kostenlose Bücher