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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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sie und setzt sich mir gegenüber.
    «Das ist gut.»
    «Was willst du, Kostja? Wer bist du?»
    «Ich will nichts. Ich bin Konstanty Willemann.»
    «Willst du Tee?»
    «Mach.»
    Sie hebt den Herdring, stellt den Teekessel aufs Blech, wirft zwei größere Holzscheite in den Ofen und setzt sich wieder an den Tisch.
    Ich sehe sie an. Sie kommt mir so schön vor wie nie zuvor, obwohl sie ungeschminkt ist, in einem Hauskleid unter dem warmen Pullover, das Haar im Nacken zu einem straffen Coque zusammengesteckt.
    Niemals hatte ich ihr irgendwelche Fragen gestellt. Niemals gefragt, woher sie kommt, wer sie ist, warum sie hier wohnt.
    «Bist du eine Jüdin, Sala?»
    «Zur Hälfte», erwidert sie nach einer zögerlichen Sekunde. «Ich bin geboren in Odessa. Mama Russin, Batjuschka Jewrej, sie flohen aus Odessa, als ich fünf war, bevor die Bolschewiken kamen, gingen nach Lwów, und dort haben wir gelebt.»
    «Und nach Warschau kamst du wie?»
    «Ich war schwanger. Mein Batjuschka hat sich taufen lassen, als er aus Odessa floh, er war streng orthodox. Als ich schwanger wurde, hat er mich aus dem Haus gejagt. Eine Hure sei ich, und eine Hure werde er nicht in seinem Haus dulden. Hatte recht damit, ich bin eine.»
    Ich sehe sie an, wage die Frage nicht. Sie versteht sie von allein.
    «Ich habe nicht abgetrieben. Ich bin eine Hure, aber unschuldiges Blut klebt nicht an meinen Händen. Sie ist in einem jüdischen Heim. In Lublin, in der Grodzka. Schlecht hat sie es dort nicht.»
    Sie steht auf, schaut in den Ofen unter dem Teekessel, wirft zwei Scheite nach.
    «Später wollte ich sie abholen, selbst erziehen, aber sie gaben sie mir nicht. Ich schreibe ihr Briefe. Bestimmt lesen sie sie ihr nicht vor. Bei uns zu Hause wurde nur Russisch gesprochen, mein Batjuschka wollte Russe sein, kein Jewrej, er wartete nur darauf, dass der Zar zurückkommt. Ging immer zur Kirche und betete dafür. Aber der Zar kam nicht.»
    «Sala, du sprichst doch reines Polnisch, wenn du willst.»
    «So wie du, Kostja. Wenn du willst, sprichst du reinstes Polnisch. Aber ich will eben nicht. Ich will das Polnische und das Russische mischen, dann weiß ich, wer ich bin. Ich bin Sala Zylberman, und wenn ich Polnisch und Russisch mische, dann weiß ich, wer ich bin. Panijamesch?»
    «Ich verstehe. Es kocht.»
    Sie steht auf, übergießt die Teeblätter, stellt die Kanne auf den Tisch, dazu die Tassen.
    «Willst du Morphin?»
    «Ja, aber später.»
    «Und Liebe machen? Kokain habe ich auch.»
    «Jetzt will ich Tee.»
    «Ich gieße schon ein. Ich bin Russin. Auch wenn ich Zylberman heiße. Du bist auch Poljak, auch wenn du Willemann heißt. Was für eine Jüdin soll ich sein, Kostek? Mein Schlitz geht nicht quer.»
    «Stimmt. Gib mir Zucker.»
    Sie reicht ihn mir. Ich trinke drei Schluck. Nicht gut, aber süß und heiß.
    «Jeder lebt, wie er kann, Kostja.»
    «Stimmt. Ich werde die Nacht bei dir bleiben.»
    «Bleib, Kostja, bleib. Wir werden uns lieben. Ich habe nur nichts zu essen hier.»
    «Ich gebe dir Geld. Gehst du was kaufen?»
    «Ja.»
    Der Tee wärmt und beruhigt mich.
    «Ich glaube, die Juden werden es jetzt nicht leicht haben, nicht wahr, Kostja?»
    «Weiß nicht.»
    «Aber ich mach mir keine Sorgen. Ich bin keine Jüdin. Hab den Schlitz nicht quer. Und mein Töchterchen – sein Vater ist Pole. Offizier wie du, nur kein Ulan, sondern Flieger. Also ist sie halb Polin, Viertel Russin und nur ein Viertel Jüdin. Nur meinen Namen hat sie, keinen guten Namen, der Vater wollte ihr seinen nicht geben. Den Kindern werden die Deutschen doch nichts tun, nicht wahr, Kostja? Nicht wahr?»
    «Ja.»
    «Sie hat es gut dort, in Lublin, in der Grodzka. Gut, dass ich sie nicht getauft habe, sonst hätten sie sie nicht genommen. Das ist ein jüdisches Heim. Dort hat sie es besser als bei mir. Ich spare ein bisschen Geld, dann kann ich hinfahren, sie besuchen. Vielleicht erinnert sie sich noch.»
    Ich sehe sie zum ersten Mal. Zum ersten Mal sehe ich Sala Zylberman. Das ist nicht Salomé.
    «Geh schon, kauf uns was zu essen.»
    «Ich werde in die Hala Mirowska gehen, das ist näher, der Kercelak ist immer noch ein Trümmerhaufen, dort verkauft niemand was.»
    «Ich habe nur Dollar.»
    «Dollar sind gut, besser als Złoty.»
    Ich gebe ihr was.
    «Brot kostet ein Złoty siebzig das Kilo, wo gibt’s denn so was. Ein Pfund Butter sieben Złoty.»
    Ich gebe ihr noch fünf. Sie zieht Mantel und Hut an und geht.
    Ich bleibe allein.
    Und sie geht, Kostek, ins kalte Warschau

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