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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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hinaus, geht die Oboźna, die Traugutt und die Kredytowa, gehüllt in ihr wollenes Kopftuch. Bei einem kleinen Zeitungshändler kauft sie den «Nowy Kurjer» und liest auf der Titelseite, dass zum achtundzwanzigsten Oktober, das heißt für übermorgen, eine Zählung der jüdischen Einwohner der Stadt angesetzt sei, und beschließt, sich nicht zu melden, Jüdin ist sie ja nur väterlicherseits, das zählt nicht. Nur dieser Name, dieser verfluchte Name, kann sie nicht anders heißen, Zielińska zum Beispiel.
    Und um sie herum, unter den Passanten, kreisen die Boten des Todes. Es sind nicht viele, in den Taschen tragen sie mit Geheimtinte geschriebene Papiere, im Kopf Pläne, in den Aktentaschen, die Erschießung riskierend, eine Pistole, die für irgendjemandes Hände bestimmt war, nicht für denjenigen, die sie jetzt trägt.
    Ich brühe noch Tee auf, sitze eine Weile am Tisch, sitze lange. Ich denke nichts, sitze einfach da und denke wirklich nichts, ich bin einfach da. Lange.
    Dann fällt mir die Mappe ein, in der Salomé meine Zeichnungen aufbewahrte. Ich zieh sie heraus, öffne sie, stürze die Skizzen auf den Boden.
    Ich kann nicht zeichnen. Bin kein Künstler. Hab kein bisschen Talent. Mit großer Mühe begriff ich die technischen Grundsätze, wie man eine Perspektive konstruiert, die Fluchtlinien, oder wie man die Anatomie abbildet, Farben mischt und Lasuren aufträgt.
    Salomés Hintern. Auf einem anderen Blatt die Brüste, auseinanderfließend, weil sie auf dem Rücken liegt, gespreizte Beine, die Scham. Das ist nicht sie. Hintern. Taille. Schultern. Titten. Bauch. Falten am Bauch, wenn sie nach vorn gebeugt sitzt, das Gesicht von den Haaren verdeckt. Es ist ihr Körper, aber nicht sie.
    Ich nehme all diese Schmierereien, zerknülle sie, trage sie in die Küche und stecke eine nach der anderen ins Feuer. Ohne Eile.
    Sala kommt zurück. Kommt in die Küche.
    «Brot hab ich gekauft, Kartoffeln, ein halbes Pfund Butter, gute Wurst, Wodka, Schokolade und ein frisches Huhn, aber mager, und ein bisschen Gemüse. Ich werde Hühnerbrühe machen, und das Fleisch zum Abendessen. Hab irre viel bezahlt. Du verbrennst die Zeichnungen. Schade.»
    «Sie sind nicht gut.»
    «Nein. Aber ich mochte es, wenn du mich gezeichnet hast.»
    «Ich kann nicht zeichnen.»
    «Das ist unwichtig. Aber wenn du sie verbrennen willst, tu das.»
    Ich verbrenne den Rest. Sitze am Tisch, Sala reicht mir Wodka im Glas, Brot und Wurst, also trinke ich und esse etwas und schaue zu, wie sie sich zu schaffen macht, das Huhn rupft und Wasser für die Brühe aufsetzt.
    Als alles fertig ist, der Topf gemütlich auf kleiner Flamme rumpelt, fragt Sala:
    «Wollen wir jetzt Liebe machen? Gibst du mir noch Geld?»
    «Ich hätte es dir auch ohne Liebe gegeben.»
    «Ich habe dich immer gemocht, Kostja, deshalb mache ich auch gern Liebe mit dir. Und Morphin, willst du?»
    «Gib.»
    Sie gibt es mir. Wir gehen ins Bett, Sala zieht mit der goldkörbigen Spritze die Lösung aus einem unbeschrifteten Fläschchen auf, schnürt mir das Gummiband um den Unterarm zu, beklopft die Vene, spritzt es mir.
    Ich spüre die bekannte Wärme, doch wie von fern. Als wäre die Lösung zu verdünnt, nur noch ein Schatten der früheren und doch so entfernten Erfahrungen.
    Salomé zieht mich sanft aus, wie man ein Kind auszieht. Die Jacke habe ich schon weggehängt, jetzt müht sie sich einen Augenblick mit meinen Kavalleriestiefeln ab, dann knöpft sie mir Hemd und Hose auf und zieht sie vorsichtig herunter, dann wickelt sie ein Pulver aus, bestimmt Kokain, zieht es in die Nase, schlüpft aus ihren Kleidern, und ich sehe ihren Körper: fette Schenkel und den Bauch, sehr schöne und schwere Brüste, alles weiß, Milch oder Tod.
    Dann küsst sie mich lange, auch wenn ich anfangs meinen Mann nicht stehen kann, später aber, als ich allmählich aus dem Bewusstsein abdrifte, funktioniert der Körper auf einmal so, wie er soll, wir lieben uns kurz, ich nur halb bei Sinnen, dann schlafe ich ein, später weckt sie mich mit ihren Küssen.
    «Ich mag dich und deinen Schwanz, Konstanty.»
    «Du musst nicht lügen.»
    «Tu ich nicht. Ich mag dich. Du bist anders jetzt; vorher mochte ich dich auch, du warst ein wildes, verwundetes Tier. Hast um dich geschlagen. Jetzt nicht mehr, und ich mag dich noch mehr. Gibst du mir noch Geld?»
    «Ja. Lass uns das Huhn essen.»
    Und wir essen das in der Brühe gekochte Huhn, die Tür geschlossen, in Salas Wohnung ist es warm, feucht und muffig, an der Wand

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