Morphin
sehe Ritter mit schwarzen Wildschweinköpfen und scharfen Hauern, Pfauenfedern wachsen aus diesen Köpfen, ich sehe sie mit dem grünspanfarbenen Árpád kämpfen, der an der Spitze seiner Fürsten über den Werezkyj-Pass drängte. Die Wildschweinköpfe, wie Masken, verbergen verstümmelte Gesichter.
Ich sehe, wie ihnen vom Wald aus Frauen zuschauen, die ihre Kinder an sich drücken, darunter Hela mit Jureczek und Iga und Salomé, die schwarzhaarige Kinder an sich drücken.
Der Zug hält an, ich werde wach. Vor dem Fenster das Schild «Bratislava». Rucken und heftige Stöße zeugen davon, dass der Zug geteilt wird. Ich nehme einen tiefen Schluck Cognac.
Als wir nach einer Viertelstunde weiterfahren, ziehe ich die Fenstervorhänge zu und schlafe wieder ein, aber diesmal träume ich nichts, ich schlafe wie ein Toter und bin tatsächlich nicht weit vom Tod entfernt, als ich so schlafe, besinnungslos, wie tot.
Ich nehme dich in die Arme, mein Lieber, wie du da im Schwarz versinkst, bald aber werde ich dich verlassen.
Kapitel vierzehn
N ach dem Aufwachen schaue ich auf die Uhr. Die Zeiger schimmern blass im Dunkeln, lassen aber seltsamerweise erkennen, dass es bald zehn ist, also Tag sein müsste. Erst als ich den Schlaf abgeschüttelt habe, fällt mir ein, dass ich in Bratislava den Fenstervorhang dicht geschlossen hatte. Ich richte mich auf, der Zug fährt, nicht schnell, aber er fährt, ich öffne das Fenster und blicke in die verhasste masowische Ebene.
Nach einer Weile erkenne ich sogar, wo wir sind: Gerade an Żyrardów vorbeigekommen, befinden wir uns etwa auf der Höhe von Marjampol. Gleich müsste Grodzisk kommen, dann Brwinów, Józefów, Włochy und – Warschau.
Ich aber habe immer noch – jetzt säuerlich-bitter, widerlich – den Geschmack des Budapester Schnapses auf meiner Zunge, ich spüre Leben.
Also werde ich weiterleben.
Morgentoilette, in aller Eile: Zahnpulver, Bürste, Zähne. Öl, Seife (nur nicht verwechseln), Pinsel, Rasierapparat, spülen, Balsam. Die Achseln waschen. Frisches Hemd. Einen Augenblick frage ich mich, ob ich in Uniform rausgehen soll, denke dann, dass es das Beste sein wird, also die Uniform. Als ich den Gürtel mit dem Halfter am Mantel festknöpfe, zieht draußen schon Włochy, die südwestliche Vorstadt, vorbei.
Ich packe die Kleinigkeiten in den Koffer. Sehe nach, ob Steifers Seife noch da ist. Ist sie.
Ich weiß noch nicht, was ich weiter tun werde. Weiß nicht, was mit meinem Leben werden soll. Weiß nicht, was ich überhaupt tun werde. Weiß nicht, wer ich bin, außer dass ich Konstanty Willemann bin, was so viel heißt wie, dass ich ich bin. Mein ganzes Leben habe ich gebraucht, um das zu verstehen, und nun nimmt es all meine alten Ängste und Wünsche hinweg, ohne meine Taten und meine inneren Erlebnisse zu entwerten, aus denen mein bisheriges Leben besteht.
Fürs Erste steige ich am Hauptbahnhof aus. Der Gendarm salutiert, ich erwidere den Gruß. Die militärischen Sitten ähneln sich zum Glück, auf einer elementaren Ebene sind sie im Grund überall die gleichen.
Der Bahnhof eine Ruine: Ein Wunder, dass hier überhaupt noch Züge ankommen. Ich gehe hinaus auf die Jerusalemer Alleen, direkt aufs Hotel Centrum zu.
Warschau.
Die Jerusalemer Alleen haben hier ohnehin nicht viel abbekommen, der Krieg würde gar nicht in die Augen stechen, abgesehen zum Beispiel vom Fehlen jeglicher Taxis.
Die Fenster verklebt. Zettel. Bielecki Józef sucht seinen Bruder Andrzej, verschollen am 23 . IX . des Jahres.
Warschau und Nieselregen.
Ich gehe nach links, vorm Polonia parkt eine einsame Kutsche, also steige ich ein und sage, ohne zu zögern, zu meiner großen Überraschung, schließlich will ich ja eigentlich zum Erlöserplatz, zur Łubieńska, sage ganz einfach, ohne den Deutschen zu spielen:
«In die Dobra zweiundfünfzig.»
Und finde Zuflucht unter dem Kutschdach, verstecke mich unter meinem Mützenschirm, zwischen den hochgestellten Mantelkrägen, aber nicht aus Scham oder Angst, dass mich jemand in deutscher Uniform sehen könnte. Ich weiß ja, dass alle, an deren Meinung mir etwas liegt, mich ohnehin seit Tagen für einen Verräter und Renegaten halten. Solche Gerüchte verbreiten sich schneller als überraschende Todesnachrichten.
Ich verstecke mich nicht vor Warschau, ich verstecke mich, um Warschau nicht zu sehen. Ich denke an Helena. Daran, dass unsere Ehe eine Farce ist, leer, und ich denke an Dzidzia, denn in mir keimt dieser dumme, wilde Zustand
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