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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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daher für nahezu zweitausend Jahre alles aus dem Ruder gelaufen? Mussten von irgendwo her aus dem Universum erst andere ›Schöpfer‹ herbeieilen, um den Misserfolg ihrer Kollegen samt Aufzuchtstation zu beseitigen? Von einer Welt, von der aus sie fast zwei Jahrtausende unterwegs waren?
    Was mir während der Lektüre der Chronik ebenfalls auffiel, war die ständige Erwähnung eines Ortes namens tahid mehagath, für den ich keine brauchbarere Übersetzung aus der Kobe-Sprache fand als ›unterirdischer Himmel‹. Anhand der spärlichen Angaben über Zweck und Lage dieses offenbar geheimen Ortes vermutete ich jedoch, dass es sich um eine Art unterirdischer Fabrik gehandelt haben musste.
    Über jene unbeschreibliche Katastrophe, von der Sahia gesprochen und die sowohl Sarara als auch die irdische Welt erschüttert hatte, fand ich am Ende des letzten der drei Bücher einen kurzen Abschnitt, der einen Brückenschlag zur mir bekannten ägyptischen Geschichte bildete; eine Beschreibung von Ereignissen, die ich so ähnlich auch von Wandreliefs kannte. Sie handelte von einem ›furchtbaren Geräusch, das sich forterben würde bis zum Ende der Tage‹: Das Geräusch zusammenstürzender Tempel und Götterbildnisse – die Folge eines gewaltigen Erdbebens, wie ich vermutete. Weiter war zu lesen: Die strahlenden Städte entlang des Idu gingen in Flammen auf. Sie wurden dein Opfer, Vater des Schreckens, die Tempel, in denen die wollüstigen Mischlinge hausten, aus den unergründlichen Bergen der Quelle, des Urlandes der Götter. Der Abgrund, der die Kemahor einst gebar, öffnete sich zweitausend Soth, nachdem sie das Land erobert hatten und verschlang sie allesamt. Denn sein waren sie und blieben es auf ewig.
    Dennoch schienen jene, die Sarara verbannt hatten, in ihrer Eile nachlässig gewesen zu sein, denn die beiden Dimensionen lagen keinesfalls so unerreichbar weit voneinander entfernt, wie es ursprünglich geplant war – was nicht allein meine Gegenwart bewies. Alle neunundvierzig Jahre, so beschrieb es die Chronik, ereignete sich für kurze Zeit so etwas wie eine Überlappung, eine ephemere Berührung der Welten, zu flüchtig für feststoffliche Körper – aber nicht für Gespenster …
    Ich musste plötzlich an das Aphonnon-Fest denken. Eigentlich war es für jene Menschen, die keine entsprechend geschulten Priester waren, kein Festtag, sondern das genaue Gegenteil: ein lähmender Zustand der Angst vor den Ach- Geistern, die für eine Nacht die Welt heimsuchten. Ursprünglich Lichtwesen, die sich im Kosmos frei bewegen konnten, genossen die Ach- Geister im Alten Reich noch hohen Respekt. Sie begleiteten das göttliche Ba und wohnten im Jenseits unter den Seligen.
    Seit dem Neuen Reich war der Ach jedoch plötzlich als Totengeist betrachtet worden, eine Art Unheil bringendes Gespenst, das die Lebenden plagte. Die Bedrohung durch die Ach- Geister erschien den Ägyptern damals so groß, dass in der Lehre des Ani sogar vor ihnen gewarnt wurde. Was den Menschen heilig gewesen war, wurde nach der Katastrophe plötzlich gefürchtet. Man hatte Angst, dass die Ach- Geister rachsüchtig und verbittert emporsteigen würden aus der verbannten Sphäre Sarara. Ein weiteres Fragment, das meine Entartungs-Theorie nährte.
    Es war die Geburtsstunde der Hölle …
     
    Ich schloss das Buch, da es zum konzentrierten Lesen inzwischen zu dunkel geworden war, und stellte alle drei Folianten auf ein schiefes Wandregal. Für eine Weile lauschte ich in mich hinein, bildete mir ein, Millionen von Nano-Robotern in mir krabbeln zu hören.
    Nachdenklich lehnte ich mich ans Fenster. Mit der Dämmerung verließen auch die Kinder ihr unterirdisches Reich. Zu Hunderten strömten sie aus den Kanälen, deren Mündungen über Kilometer hinweg das Ufer säumten. Auf der anderen Flussseite, im Haus gegenüber, tauchte ebenfalls eine schattenhafte Gestalt am Fenster auf und beobachtete die nackten Körper, die lärmend ins Wasser sprangen. Die Breite des Flusses betrug an dieser Stelle vielleicht fünfzig Meter. Vom Fundament des Turms bis zum Felsufer der Insel waren es etwa vier Meter.
    Die Kinder trieben mit ihren Dimetrodon-Rückenflossen wie bizarre Segelboote durchs Wasser, während sie einander mit Algen und Schlamm bewarfen. Eine der Kreaturen näherte sich der Insel und kletterte ans Ufer. Sie hatte den haarlosen Kopf in den Nacken gelegt und sah zu mir empor, dann kroch sie auf die Hauswand zu, griff mit den dicken kleinen Händen in die Mauerfugen

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