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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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und kletterte langsam zu mir herauf. Als Manom das Fenster erreicht hatte, lächelte er und inspizierte das Innere des Zimmers.
    »Tivisre ech nehen saal?«, fragte er gespannt.
    Ich schüttelte den Kopf. »Du machst nur den Boden schmutzig.«
    »Lan deleiac?« Manom machte Anstalten, ins Zimmer zu kriechen. Ich schaute ihn mahnend an, worauf er sich wieder auf dem Sims niederließ. Seine wässrigen Augen sahen mich aufmerksam an.
    »Was ist los?«, wollte ich wissen.
    »Jass vertuhe gejn?«
    »Keine Sorge, mir geht es gut. Ich komme schon klar.«
    Ich hatte gewisse Bedenken, Manoms badendes Gefolge könnte ebenfalls heraufgekrochen kommen, und warf argwöhnisch einen Blick aus dem Fenster. Die anderen Kinder waren jedoch mit sich selbst beschäftigt und nahmen keine Notiz von uns.
    »Du solltest auch wieder baden gehen«, riet ich Manom und setzte mich neben ihn. »Dein Geruch verpestet das ganze Zimmer.«
    Der Junge blickte überrascht auf. »Ech faset benokka daj!«, empörte er sich und roch zur Probe an seinem Bauch. »Bjooka!«, stellte er fest.
    »Dann solltet ihr euch nicht mit Schlamm waschen, sondern mit Wasser.«
    Manom lachte amüsiert. »Onach derselvet basay merridem«, war alles, was ihm dazu einfiel. Ich verzog gequält das Gesicht und erhob mich übertrieben langsam, als ob mir das Aufstehen sehr schwer falle.
    »Qas punechet somril?«
    »Kerzen?« Ich blieb überrascht stehen. »Wofür Kerzen? Bist du raufgekommen, um zu plündern?«
    »Noon antar fahacey.« Der Junge blickte betreten in eine Ecke des Zimmers und rutschte nervös auf dem Fenstersims herum. Ich schaute ihn betroffen an, räusperte mich und sah mich ratlos um.
    »Daj!« Manom lächelte schief. »Harrae ellea veihn avei«, versprach er mir.
    »Das will ich auch hoffen, mein Freund.« Ich durchsuchte die Nachbarräume, fand tatsächlich zwei Kerzen und wickelte sie in ein Leintuch. Manom nahm es vorsichtig entgegen, als wolle er dadurch seine Absicht bekunden, nichts zu beschädigen.
    »Akoma.«
    »Nicht der Rede wert.« Ich sah zu, wie der Junge den Halt des Bündels überprüfte. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass es sicher verschnürt war, schaute er mich aufmunternd an.
    »Tautar as miope kalsa?«
    »Ein Gebet?«
    »Maech gorand?«
    »Ich glaube nicht, dass ein Gebet an diesem Ort viel Sinn hat.«
    »Anako meschad.«
    Ich zuckte die Achseln. »Na schön, aber warte hier!« Ich lief vor zur Galerie und blätterte ein gutes Dutzend Bücher nach einem passenden Text durch. Die meisten Werke befassten sich mit Wissenschaft und ließen in den Regalen daher wenig Platz für Frömmigkeit. Wozu auch? Ein Mann, der vier Jahrhunderte nach seinem Tod noch immer keinen Himmelsboten, dafür aber unsägliches Leid erblickt hatte, legte mit Sicherheit keinen Wert mehr auf Gottesfurcht. Nach langem Suchen fiel mir ein Buch in die Hände, das sich mit den Geheimlehren der Essäer über Engel und Sterne befasste. Damit lief ich zurück zu Manom, der ungeduldig auf dem Sims ausgeharrt hatte, zog einen Stuhl herbei und setzte mich neben den Jungen ans Fenster. Dann packte ich das Buch auf meinen Schoß, schlug es in der Mitte auf und blätterte es in beide Richtungen gleichzeitig durch, in der Hoffnung, eine passende Textpassage zu finden. Dabei stieß ich zufällig auf eine handschriftliche Notiz, die mich elektrisierte. Ich markierte die Stelle und blätterte ein wenig zerstreut weiter. Manom schwieg gespannt, wobei er den Kopf verdrehte, um vom Fenstersims her einen Blick auf einige der Zeichnungen im Buch zu erhaschen.
    »Ich schreibe es dir auf ein Blatt Papier«, erklärte ich, als ich eine passende Litanei gefunden hatte. »Aber du darfst es nicht fallen lassen! Gebete, die ins Wasser fallen, werden nicht mehr erhört …«
    Manom murmelte etwas Unverständliches, als ich ihm den Zettel gab. Er las den Text schweigend durch, faltete das Papier und steckte es zu den Kerzen. Dann hob er in altem Stolz sein kahles Haupt, lächelte und sagte: »Caleo.«
    »Bis bald.«
    Der Junge drehte sich um und kroch die Hauswand wieder hinab. Ich beobachtete ihn, wie er ins Wasser glitt und das Leinenbündel dabei hoch erhoben hielt. Er beriet sich kurz mit den anderen Kindern, dann schwammen sie gemeinsam ans gegenüberliegende Ufer und verschwanden in einem der Schächte. Die schattenhafte Person im Haus gegenüber stand noch immer reglos am Fenster. Erst nachdem die letzte Rückenflosse abgetaucht war, trat sie zurück und schob einen Bretterverschlag

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