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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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gewesen sein …
    Ich verbrachte geraume Zeit damit, die in Soth und Abed gehaltenen Sarara- Zeitangaben in irdische Stunden, Tage und Jahre umzurechnen, um greifbare Daten zu erlangen, und kam zu dem Ergebnis, dass die Chronik um das Jahr 18.000 vor Christus begann und kurz vor Beginn der 19. Pharaonendynastie abrupt endete; etwa 1300 Jahre vor der Zeitenwende. Dies konnte die Epoche gewesen sein, zu der sich die von Sahia erwähnte Katastrophe ereignet haben musste.
    Was mir auffiel, waren die in der Chronik spärlich vorhandenen Abbildungen besagter Götter. Sie wirkten relativ menschlich, mit langen schlanken Gliedern und langen Köpfen, wie es im alten Ägypten nach dem Abbinden des wachsenden Schädels ab frühester Kindheit als vornehmes Schönheitsideal galt. Ich betrachtete lange ein Bild von Osiris, den man in späterer Zeit zum Herrn über das Totenreich gemacht hatte. Zwar wirkte er nicht viel größer als der Priester, der auf der Zeichnung vor ihm kniete, doch seine Haut war wie auch die der übrigen Götter abgrundtief schwarz, sodass sein Gesicht auf der Abbildung aussah, als hätte sich in seiner Dunkelheit ein strahlend weißes Auge geöffnet.
    Der Schwerpunkt der kryptischen Texte lag jedoch auf der menschlichen Evolution; der Schöpfung, ihrer Entfaltung und Ausbreitung und ihrer Fort- und Rückschritte. Angesichts dieser teils akribischen Aufzeichnungen machte sich nicht selten ein mulmiges Gefühl in mir breit – denn falls ich den Zeilen Glauben schenken durfte, waren wir keinesfalls ein Zufallsprodukt der Natur, sondern das Resultat gezielter Hominisation. Kapitelweise wurden Evolutionseigenschaften abgehandelt; Genomgröße, Hirngröße, Lern- und Lehrvermögen, Sprache, Kultur, Schrift, Erfindungen, angesammeltes Wissen … Stellenweise las die Chronik sich wie ein Fachbuch für die Aufzucht und Pflege von Frühmenschen bis hin zur dynastischen Hochkultur.
    Offenbar hatte Sarara einst wie ein gigantisches, Kontinente überspannendes Terrarium funktioniert. Eine Dimension von der Größe eines Mondes, die auf unbegreifliche Weise unsichtbar mit unserer Welt verschmolzen war. Sobald die Zeit (oder besser gesagt: die Menschheit) reif gewesen wäre, hätten unsere Züchter bildlich gesprochen einfach den Deckel angehoben und uns, ihre Kultur, auf die Welt losgelassen, um sich still und heimlich zum nächsten geeigneten Planeten davonzuschleichen und dort über zahllose Generationen hinweg das Gleiche zu praktizieren.
    So wäre es wohl auch geschehen, wenn – ja, wenn nicht kurz vor Ende des Projekts um das Jahr 3100 vor Christus irgendetwas gewaltig schiefgelaufen wäre. Eine außer Kontrolle geratene Entartung, in deren apokalyptischem Resultat ich nun, Jahrtausende später, gefangen war und welche jene, die dafür Verantwortlich waren, dazu bewogen hatte, die gesamte verseuchte Sphäre aus dem uns bekannten Universum zu verstoßen – auf eine Art kosmische Müllhalde.
    Die einzelnen Ebenen von Sarara hatten demnach ursprünglich nicht als diverse Himmel und Höllen funktioniert, wie es aus heutiger Sicht erscheinen mochte, sondern als Gehege der Menschen in verschiedenen Stadien der Entwicklung. Einige Textabschnitte schienen zu besagen, dass man den idealen Homunkulus dabei aus sechs verschiedenen Ingredienzien zusammengesetzt hatte, deren Namen mir aus der ägyptischen Totenlehre nur zu geläufig waren: Ach, Ka, Ba, Schut, Chet und Ren; die Leib- und Seelenwesen des Menschen.
    Jene namenlosen Fremden, die gegen Ende der Altsteinzeit gekommen waren, um uns nach ihren Vorstellungen und Plänen zu formen, hatten dies folglich nicht aus religiösen, sondern aus rein wissenschaftlichen Motiven getan. Um uns am Ende als modifizierte Spezies auf unseren Planeten loszulassen oder einfach nur aufzufressen, blieb dahingestellt.
    Ob die Menschheit durch das Hinauskatapultieren der Sarara- Sphäre aus dem bekannten Kosmos die letzte Spezies in einer langen Reihe von kosmischen Zuchtprojekten gewesen war, ging aus den Büchern nicht hervor. Vielleicht gab es irgendwo in Elijahs Bibliothek andere Schriftzeugnisse, die Aufschluss darüber gaben. Rätselhaft blieb für mich jedoch die Zeit, die zwischen dem Auftauchen der Kemahor und ihrer unkontrollierten, folgenschweren Ausbreitung innerhalb der Sarara- Grenzen bis zu jener Katastrophe vergangen war, die die Sphäre und alles Abnorme aus dem bekannten Kosmos geschleudert hatte. Hatten die einstigen Betreiber die Entartung also nicht überlebt? War

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